Zerteufelter Vers (German Edition)
gefeit war, seine Gedankenwelt preiszugeben… Sie erhielt keinen Einblick und fragte sich, warum es bei dem einen funktionierte und bei dem anderen nicht.
»Der Arzt hat Kirt dazu verdonnert.« Sebastian sah sie fortwährend an. »Und warum bist du überhaupt zu uns gekommen?« Das klang nun doch vorwurfsvoll, aber anscheinend war er tatsächlich an ihrer Antwort interessiert. Gloria zuckte mit den Schultern. »Ich hatte gehofft, dass Kirt mir hilft.« »Tja – das hat er ja auch gemacht!« Es klang angesäuert und Gloria bekam wieder ein schlechtes Gewissen. Am liebsten hätte sie sich in Luft aufgelöst, aber leider war sie ja noch nicht einmal in der Lage, sich schneller als im Schneckentempo von A nach B zu transportieren. Sebastian atmete tief durch und sagte kein Wort mehr. Also blieben sie auf der Veranda stillschweigend sitzen. Im Prinzip war es schön hier: Alte, hohe Bäume, eine überschaubare Wiese und dazu eine kleine Feuerstelle.
Gloria fragte sich, wo die anderen waren. Zögerlich durchbrach sie das Schweigen: »Wo sind wir hier eigentlich?« Sebastian drehte seinen Kopf zu ihr. »Bei `ner Grillhütte.« Ach, nee – soweit war sie auch schon gekommen! »Und wo?« »In der Nähe von Düsseldorf. Ein bisschen außerhalb. Ich hatte mir mal die Schlüssel von der Hütte nachmachen lassen.« Sebastian schmunzelte. »Wir hoffen jetzt alle, dass keiner das Ding gemietet hat für die nächste Zeit.« Jetzt lachte er. Gloria wusste nicht, was sie davon halten sollte. »Das heißt, es könnte auch jederzeit ein Getränkeservice vorbeikommen, der schon mal 100 Liter Bier für die nächste Party liefert?« Sebastian lachte wieder. »So in etwa… ist schon möglich.«
Das war ja gigantisch! Aber Gloria musste nun auch schmunzeln… Dass jemand so dreist sein konnte, sich einfach die Schlüssel nachzumachen! Je länger Gloria darüber nachdachte, desto besser fand sie die Idee. Sebastian holte sie aus ihren Gedanken, als er weitersprach: »Außerdem kannst du uns hier nicht abhauen!« Entgeistert blickte sie ihn an. »Was?« Er grinste süffisant. »Ja, klar – immerhin müssen wir dich ja einmal die Woche ins Krankenhaus bringen und Rommerz kennt Kirt! Es wäre schlecht, wenn wir dich nicht ordnungsgerecht einmal wöchentlich bei ihm abliefern!« Was sollte das denn heißen? Aber Sebastian machte keine Anstalten, das Gespräch fortzuführen und so trat erneut eine beklemmende Stille ein.
»Wo ist Kirt?« Er zuckte mit den Schultern. »Kitty ist mit ihm weg. Keine Ahnung. Einer schiebt immer Wache.« »Was?« Gloria sah ihn irritiert an. »Das ist doch wohl nicht dein Ernst?!« Sebastian schaute ihr gereizt in die Augen. »Sogar mein voller!« Das war jawohl der totale Schwachsinn. »Einer bleibt immer hier. Diesmal bin ich dran und heute Nacht wieder Kitty. Die ersten beiden Nächte war Kirt hier.« »Die ersten beiden?« Gloria fragte sich, wie lange sie geschlafen hatte. Wieder trat eine peinliche Stille ein; dieses Mal war zusätzlich noch seine gereizte Stimmung greifbar und das machte es nicht gerade angenehmer. »Ja, er wollte bei dir sein, wenn du aufwachst!« Sebastian stand plötzlich angesäuert auf und ging rein. Er kramte irgendwo herum und kam mit einer Zeitschrift zurück. Aber anstatt sich wieder auf die Stufen der Veranda zu setzen, ging er an Gloria vorbei auf die Wiese und machte es sich bei der Feuerstelle bequem. Gloria sah ihm hinterher und fühlte sich elend. Sie grübelte nach und wurde traurig.
Gloria fragte sich, was ihr Vater gerade tat. Ob er an der Arbeit war oder um diese Zeit schon nach Hause kam und dort alleine herumsaß. Gloria fühlte sich jedenfalls allein. Genau jetzt wäre sie ohne Skrupel in den nächsten Zug gestiegen, um schließlich doch nach Weimar zurückzufahren, aber das ließ sich nicht machen. Sie war echt wechselhaft: Einmal wollte sie auf gar keinen Fall nach Hause und dann wieder schien ihr alles egal zu sein und sie hätte gern ihr eigenes Zimmer zurückgehabt.
Gloria begutachtete alle ihre Wunden, strich sich durchs Gesicht, um auch hier einen Überblick zu bekommen, an welchen Stellen es weh tat und kam zu dem Resultat, dass es nicht lange dauern konnte, bis sie wieder fit war. Gut – ihre gebrochenen Rippen würden wohl noch ein paar Wochen brauchen, bis sie aufhörten zu schmerzen, aber das war auszuhalten. Das einzige Problem bildete ihr Kopf. Denn sobald sie etwas tat, was sie anstrengte, fing ihr der Schädel an zu brummen und außerdem war da
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