Zeugin am Abgrund
kampiert. Ich kenne die Gegend, und ich weiß, wie man in der Wildnis überlebt. Überlassen Sie mir das Problem, wie wir von hier wegkommen, okay? Machen Sie nur das, was ich Ihnen sage.”
Diese letzte Bemerkung ließ Lauren mit den Zähnen knirschen. Arroganter Kerl, dachte sie. Als ob sie irgendeine Wahl gehabt hätte. Was dachte er überhaupt, was sie gemacht hatte?
“Gut”, gab sie schnippisch zurück. Sie ließ sich auf dem Schlafsack nieder, nahm ihre Handtasche und begann etwas zu suchen. “Ach, übrigens”, sagte sie mürrisch, “ich habe Eier zubereitet, für den Fall, dass Sie Hunger haben. In der Pfanne dort am Feuer habe ich etwas für Sie übrig gelassen.”
Sam sah auf die gelbliche Masse in der Pfanne, dann blickte er sie an. “Sie haben gekocht?”
“Ja, ich habe gekocht”, erwiderte sie beleidigt, dann schnitt sie eine Grimasse. “Wenigstens habe ich es versucht. Was schief gegangen ist, weiß ich nicht. Ich habe mich genau an die Beschreibung gehalten.”
Sam nahm die Pfanne hoch und untersuchte wortlos die blassgelbe Masse.
“Es schmeckt besser, als es aussieht. Ehrlich.”
Sein Blick ließ erkennen, dass es gar nicht anders sein konnte, denn so schlecht, wie es aussah, konnte es gar nicht schmecken. Er griff nach der Gabel.
Ohne ein Wort zu sagen, aß Sam die flüssige Masse und nahm auch die Streifen Dörrfleisch, die sie in der Pfanne für ihn aufgewärmt hatte. Lauren beobachtete ihn, aber es war völlig unmöglich, von seinem Ausdruck auf das zu schließen, was er dachte. Als er aufgegessen hatte, goss er etwas Wasser in die Pfanne. “Nehmen Sie beim nächsten Mal etwas weniger Wasser”, bemerkte er, während er die Pfanne mit einem Zweig schrubbte.
Lauren warf ihm einen wütenden Blick zu. Auf diese Idee war sie auch schon gekommen. Hielt er sie eigentlich für völlig dumm? “Danke, ich werde mir das merken”, sagte sie, während sie vor Wut kochte. Sie hatte kein Dankeschön erwartet, auch kein Lob dafür, dass sie es wenigstens versucht hatte. Aber hätte es ihn umgebracht, zumindest höflich zu sein?
Sam ignorierte sie und widmete sich dem Unterholz. Bei mehreren dünnen Zweigen testete er die Widerstandskraft und Biegsamkeit und warf die geschmeidigsten auf einen Berg neben den Kamin. Dabei hielt er sich so weit von ihr entfernt auf, wie es möglich war, um gleichzeitig immer noch die Wärme des Feuers spüren zu können.
Laurens Züge verhärteten sich. Wer weiß? dachte sie. Vielleicht würde es einen so sturen Mann tatsächlich umbringen, wenn er sich höflich verhielt. Am Morgen zuvor, als er in den Verhörraum der Denver Police Station gekommen war, hatte er so ausgesehen, als wäre sein Gesicht aus Granit gehauen.
Mit raschen, wütenden Bewegungen holte Lauren eine Lotion aus der Handtasche und verteilte die Feuchtigkeitscreme auf Gesicht und Händen. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie Sams aufgebrachte Blicke, während er zwei Äste auf einen Meter Länge zurechtschnitt und die kleinen Zweige entfernte. Dann legte er die so bearbeiteten Abschnitte nebeneinander und band die Enden mit einem Stück Nylonfaden zusammen. Als er damit fertig war, teilte er einen weiteren Zweig in zwei kürzere Stücke, die vielleicht zwanzig oder fünfundzwanzig Zentimeter lang waren, und begann an beiden Enden eine flache Aussparung zu schnitzen.
Lauren fragte sich, was er da machte, aber da er sie ganz offensichtlich ignorieren wollte, beschloss sie, ihm den gleichen Gefallen zu tun.
Nachdem sie aus dem Krankenhaus entlassen worden war, hatte sie die Physiotherapie in einem Fitnesstudio in der Nähe ihres Apartments fortgesetzt. Als ihr die Vorteile eines regelmäßigen Trainings bewusst geworden waren, war es ein logischer Schritt gewesen, die Therapie auf ein umfassendes Trainingsprogramm auszuweiten. Wie bei allem, was sie in Angriff nahm, widmete sie sich dem körperlichen Training mit der gleichen Entschlossenheit und Hingabe, die sie auch bei ihrer Musik an den Tag legte. Ihr ganzes Leben hatte sich darum gedreht, zielgerichtet zu handeln, und das Training wurde schnell ein fester Bestandteil ihres Lebens.
Lauren drehte sich von Sam fort, spreizte die Beine zu einem breiten V und begann mit den Aufwärmübungen. Sie griff jeweils mit einer Hand an den Zehen des gegenüber liegenden Fußes, wobei sie sich in Hüfthöhe so weit drehte, wie es möglich war. Sie dehnte sich nach rechts und links und ließ Kopf, Schultern und Arme rotieren. Dann stand sie auf, beugte
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