Zeugin am Abgrund
Ihr Manager, stimmt’s?”
Lauren riss den Kopf hoch. “Wie kommen Sie darauf?”
“Das sieht man Ihrem Gesicht jedes Mal an, wenn sein Name fällt.”
Sie senkte erneut den Blick, aber diesmal konnte Sam den Schmerz in ihren Augen entdecken. Er wartete und beobachtete sie, doch sie schwieg. Schließlich hakte er nach: “Habe ich Recht? Waren Sie und Collin ein Liebespaar?”
“Er war mein Verlobter”, erwiderte sie so leise, dass er sie kaum verstehen konnte. “Er hat um meine Hand angehalten, nachdem mein Vater gestorben war. Der Autounfall ereignete sich drei Wochen vor der Hochzeit.”
“Wenn Sie mich auf die Weise davon überzeugen wollen, dass Sie nichts mit Giovessi hatten, dann haben Sie keinen Erfolg. Ich habe eher das Gefühl, dass Sie sich von einem Beschützer zum nächsten flüchten.”
Wieder riss sie den Kopf hoch. “Das habe ich nicht gemacht! Das hatte damit nichts zu tun. Ich habe Collin geliebt, und er hat mich … ich hatte gedacht, er würde mich auch lieben.”
“Was ist geschehen? Er wird sich doch nicht von Ihnen getrennt haben, nur weil Ihre Karriere so plötzlich am Ende war?”
“Doch, genau so war es. Ich nehme an, ich war finanziell nicht länger interessant. Schließlich konnte ich ihm ja nicht mehr den Lebensstil bieten, den er gewohnt war.”
“Der wie aussah?”
“Wir reisten um die Welt, wir waren ein Teil der Musikszene, und er badete sich im Ruhm einer Frau, die ein aufstrebender Star war. Sie müssen wissen, dass es Collin gefiel, sich mit Musikgönnern zu umgeben -- den Reichen und Berühmten und den Typen aus der High Society, die Klassikkonzerte besuchen. Nach den Konzerten wurden für mich Partys veranstaltet, wir wurden in den Häusern der reichsten Familien der Welt empfangen, wir wurden zwischen zwei Konzerten in ihre Villen und auf ihre Yachten eingeladen. Es war ein sehr edler Lebensstil.”
Sie blickte ins Feuer. “Collin hat nicht wirklich unsere Verlobung gelöst, er hat mich einfach verlassen.” Sie zuckte mit den Schultern. Obwohl sie damit zeigen wollte, wie wenig es sie berührte, verriet sie in Wahrheit, wie sehr dieses Erlebnis sie verletzt hatte. “Und er hat all mein Geld mitgenommen, jedenfalls bis auf ein paar tausend Dollar. Ich glaube, sein Gewissen erlaubte es ihm nicht, mich in einer fremden Stadt völlig ohne Geld zurückzulassen.”
“Er hat Ihre Konten geräumt und Sie sitzen lassen, während Sie im Krankenhaus lagen?”
Lauren nickte.
“Haben Sie ihn verklagt?”
Sie schüttelte den Kopf. “Nein. Ich sagte ja schon, dass er alle Rechnungen bezahlte und sich um alles kümmerte. Er hatte eine Generalvollmacht. Ich konnte nichts dagegen unternehmen.”
“Das hätte es natürlich erschwert, an ihn heranzukommen. Aber Sie hätten doch wenigstens versuchen können, ihn zu verklagen. Vielleicht würden Sie zumindest an einen Teil des Geldes kommen. Wie viel hat er denn mitgenommen?”
“Das ist ja mein Problem. Ich weiß es nicht.” Sie verzog das Gesicht. “Ich komme mir so dumm vor, so etwas zuzugeben, aber bis zum Unfall habe ich mich nie um die finanzielle Seite meiner Karriere gekümmert. Ich musste es nie. Erst hat das mein Vater erledigt, danach Collin. Das Geld war … einfach da. Wenn ich etwas brauchte, hatte ich ja meine Kreditkarte. Oder ich sagte Dad und später Collin Bescheid, und dann wurde das beschafft, was ich haben wollte.”
Sie atmete tief durch. “Und dann war ich auf einmal völlig allein und praktisch mittellos. Ich lag in einem Krankenhaus in einer fremden Stadt, meine Karriere war beendet. Ich konnte mich an niemanden wenden. Ich hatte keine Verwandten. Wir hatten Dutzende von Bekannten in aller Welt, aber wir waren nie lange genug in einer Stadt gewesen, um enge Freundschaften zu entwickeln. Ich hatte nicht nur ein gebrochenes Herz, ich hatte auch entsetzliche Angst.”
Das glaube ich gerne, dachte Sam. Zum ersten Mal im Leben auf sich allein gestellt. Es musste eine erschreckende Situation für eine Frau zu sein, die vom Tag ihrer Geburt an behütet und gehätschelt worden war.
Vorausgesetzt, sie erzählte die Wahrheit.
Lauren sah auf, ihre grünen Augen flehten stumm um Verständnis. “Ich wusste nicht, was ich machen oder wo ich überhaupt anfangen sollte. Ich hatte immer nur Konzerte gegeben, ich hatte nie einen Job gehabt. In meinem ganzen Leben hatte ich noch nie eine Rechnung bezahlt oder einen Scheck ausgestellt. Kochen, Saubermachen, die Bedienung einer Waschmaschine,
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