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Zeugin am Abgrund

Zeugin am Abgrund

Titel: Zeugin am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ginna Gray
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ein kleine Rolle Nylonschnur heraus. “Kommen Sie zu mir, damit ich Sie an mir festbinden kann.”
    Lauren hob einen Fuß an, ließ ihn aber sofort wieder sinken, als ihr seine Worte bewusst wurden. Sie riss die Augen weit auf. “Was haben Sie gesagt?”
    “Keine Panik. Ich stehe nicht auf Fesselspiele. Das ist nur eine Sicherheitsmaßnahme.”
    Er legte ihr die Schnur um die Taille, dann trat er hinter Lauren. Als er sich vorbeugte, um das andere Ende durch den Metallring eines der Reißverschlüsse an ihren Jackentaschen zu ziehen, hörte er, wie sie heftig einatmete und sich versteifte. Er sah ihr ins Gesicht.
    Sie waren nur Zentimeter voneinander entfernt. Sie war blass, weil es so extrem kalt war. Nasenspitze, Wangen und Kinn waren leicht gerötet, doch das änderte nichts daran, dass ihre Haut wie Porzellan aussah. Er war nahe genug, um jede einzelne ihrer langen Wimpern und die unzähligen verschiedenen Grüntöne ihrer Augen zu sehen. Er war nahe genug, um ihren weiblichen Duft wahrzunehmen. Unterhalb ihres linken Ohrs pulsierte die Halsschlagader wie wild, während ihr Atem so flach war, dass man ihn kaum wahrnehmen konnte.
    Sein Blick wanderte langsam über ihr Gesicht. Ein leichtes Zittern durchfuhr ihren Körper, doch davon abgesehen stand sie völlig reglos da. Ihre Augen hatte sie so weit aufgerissen wie ein Reh, das in ein Scheinwerferpaar blickte. Sam erkannte, dass sie die gleiche starke Anziehung fühlte, die ihm bei ihrer ersten Begegnung an sich selbst aufgefallen war. Diese Empfindung nahm sie wohl zum ersten Mal wahr, wenn ihr Gesichtsausdruck ihn nicht täuschte.
    Sam sträubte sich gegen die Gefühle, die sie in ihm weckte. Aber er war auch nur ein Mensch, und die Feststellung, dass die Anziehung nichts Einseitiges war, erfüllte ihn mit tiefer Befriedigung.
    Ihre Blicke trafen sich, und einige Sekunden lang konnte keiner von ihnen die Augen abwenden. Die Erkenntnis ließ die Emotionen hochkochen. Durch das Loch im Dach kam ein kalter Luftzug, der ein paar Schneeflocken hereintrug, aber die beiden nahmen nichts davon wahr.
    Sams Blick wanderte hinunter zu ihrem leicht geöffneten Mund, blieb einen Moment lang dort hängen und kehrte dann zurück zu ihrer Halsschlagader. Der Drang, seine Lippen auf dieses Pulsieren zu legen und es zu kosten, war so stark, dass er wie von einem Magnet angezogen wurde. Fasziniert betrachtete er ihre zarte Haut, und während seine Augenlider allmählich schwerer wurden, legte er den Kopf schräg und lehnte sich gegen sie.
    Ob es daran lag, dass sich ihre Augen minimal weiteten, oder an dem Knacken eines Holzscheits im Kamin, dass der Zauber dieses Augenblicks ausgelöscht wurde, wusste Sam nicht. Und er wollte es auch nicht wissen. Er war nur froh darüber, dass er wieder zu Sinnen gekommen war.
    Er riss den Kopf zurück und beschäftigte sich erneut damit, das Seil an ihrem Parka festzumachen.
    “In einem solchen Sturm kann man nur zu leicht die Orientierung verlieren”, sagte er schroff. “Wenn Sie sich mehr als zwei Meter von mir entfernen, sind Sie schon verloren, also lege ich Sie an die Leine.”
    “Ich …” Ihre Stimme versagte, und sie musste sich räuspern. “Ich verstehe. Aber … aber was ist mit Ihnen?” stammelte sie. “Sie könnten sich doch genauso gut verlaufen.”
    Sam atmete erleichtert auf. Sie hatte ebenfalls beschlossen, so zu tun, als hätte es diese hitzigen Sekunden gerade eben nie gegeben.
    “Nicht so ganz. Ich habe einen sehr guten Orientierungssinn. Vielleicht liegt das daran, dass ich zur Hälfte indianischer Abstammung bin. Außerdem ist mein Dad mit mir oft auf die Jagd gegangen, als ich noch ein Kind war. Und er hat mir einiges über die Wildnis beigebracht.”
    “Sie sind zum Teil indianischer Abstammung? Wirklich?” Sie legte den Kopf schräg und betrachtete ihn, als gehöre er zu einer faszinierenden neuen Spezies. “Ich bin noch niemals jemandem begegnet, der amerikanische Ureinwohner unter seinen Vorfahren hat. Welcher Stamm?”
    Er sah sie aus dem Augenwinkel an und erwartete fast schon eine verächtliche Äußerung. Oder Mitleid, was noch schlimmer war. Er hatte das alles bereits oft genug mitgemacht. Auch in diesen angeblich so aufgeklärten Zeiten gab es viele Menschen, die ihn als Halbblut bezeichneten. Manchmal hatte er sogar das Gefühl, dass sein eigener Vater so über ihn dachte.
    Laurens treuherzige grüne Augen dagegen zeigten ihr Erstaunen und so etwas wie kindliche Neugier.
    “Meine Mutter war eine

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