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Zeugin am Abgrund

Zeugin am Abgrund

Titel: Zeugin am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ginna Gray
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Carlo immer nur auf das Grelle und Auffallende, auf Äußerlichkeiten.
    Sam runzelte die Stirn. Es gefiel ihm nicht, in welche Richtung sich seine Überlegungen bewegten. Er war nicht sicher, ob er ihr ihre Geschichte abkaufen sollte. Sie konnte sich das alles auch nur ausgedacht haben, um ihr Gesicht zu wahren. Aber ihr Verhalten, die Art, wie sie sprach, diese einwandfreien Manieren, einfach alles an ihr stand für Klasse und Privileg. Vielleicht war sie aber auch nur eine verwöhnte Debütantin aus der High Society, die aufbegehrt hatte und jetzt nicht wollte, dass ihre Familie herausfand, wie tief sie gesunken war.
    Diese Theorie war ein wenig weit hergeholt, und sie gefiel ihm auch nicht so recht, aber Sam ignorierte die Zweifel und widmete sich weiter seiner Arbeit. Einen Moment später sah er wieder zur Tür, dann schob er den Ärmel seines Parkas zurück und warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Verdammt, wo blieb sie? Sie hatte jetzt mehr Zeit als genug gehabt. Stand sie da draußen und fror sich etwas ab, nur um es ihm heimzuzahlen?
    Er gab ihr noch dreißig Sekunden. Wenn sie bis dahin nicht zurück war, würde er sie suchen gehen. Es würde ihn nicht wundern, wenn sie sich mit dem Seil im Unterholz verfangen und selbst gefesselt hätte.
    Gerade wollte er aufstehen, als Lauren die Tür einen Spalt aufdrückte und sich hindurchzwängte. Sie war von Kopf bis Fuß mit Schnee bedeckt und erinnerte in ihrem Aussehen an einen Geist. Auf ihren Schultern und der Kapuze bildete der Schnee kleine Hügel. Das Fell am Rand der Kapuze war voller Eiskristalle, und der Schnee, der sich unter ihren Stiefeln angesammelt hatte, ließ sie etwas größer erscheinen.
    Sie drückte die Tür hinter sich zu, brachte das Holzstück in die richtige Position, stampfte auf und wischte Parka und Hose ab. Als sie damit fertig war, stellte sie die mit Schnee aufgefüllte Pfanne an den Kamin. Dann zog sie die Handschuhe aus und hielt ihre Hände an das Kaminfeuer. Dabei warf sie Sam nicht einen einzigen Blick zu.
    “Wenn Sie schon da stehen, können Sie gleich eine Hand voll Bohnen ins Wasser werfen, damit die aufquellen. Die gibt es nachher zum Abendessen.”
    Er sah noch immer nicht auf, aber aus dem Augenwinkel erkannte er, dass sie sich erneut versteifte und ihm einen zornigen Blick zuwarf. Nach kurzem Zögern nahm sie dann aber doch den Beutel mit den getrockneten Bohnen und machte das, was er ihr gesagt hatte.
    Sam konzentrierte sich weiter auf den Schneeschuh, bis er seine Arbeit plötzlich zur Seite legte und aufstand. Mit einem der Messer schnitt er einen schmalen Streifen von der Thermodecke ab und teilte ihn in vier gleich lange Stücke. Eines davon schob er von unten durch den Schneeschuh, stellte seinen Fuß darauf und band es um seinen Stiefel.
    “Dieser Sturm scheint vorläufig nicht nachzulassen, und uns geht allmählich das Brennholz aus”, erklärte er, während er weiterarbeitete. “Ich werde mehr holen, solange es draußen noch hell genug ist.”
    “Ich komme mit.”
    Sam blieb stehen und sah sie an. “Was?”
    “Ich kann Ihnen helfen”, versicherte sie.
    “Sie?”
    Sie schob das Kinn ein wenig vor, was auf ihn den Eindruck einer königlichen Angriffshaltung machte. “Vielleicht kann ich nicht gut kochen, aber ich habe zwei Arme. Ich kann Brennholz tragen. Es gibt keinen Grund, dass Sie alles allein machen müssen.”
    “Meinen Sie das im Ernst?”
    ″Ja. Wir stecken zusammen in dieser Sache, also möchte ich meinen Teil dazu beitragen.”
    Er wollte ihr sagen, dass sie es vergessen solle, doch ihre stolze Kopfhaltung ließ ihn zögern. Er sah sie an und dachte darüber nach, dass sie wahrscheinlich mehr im Weg als behilflich sein würde. Aber er verstand ihren Stolz.
    “Also gut, aber ich will, dass Sie die Schneeschuhe tragen. Sie müssen sich sowieso daran gewöhnen, auf ihnen zu gehen, und je früher, umso besser.” Während er sprach, zog er den Schuh aus, den er sich gerade an den Stiefel gebunden hatte.
    “Und was ist mit Ihnen? Sie haben nur ein Paar fertig.”
    “Ich schaffe das schon. Es ist wichtig, dass Sie lernen, die Schneeschuhe zu beherrschen. Sobald dieser Sturm vorüber ist, machen wir uns auf den Weg. Also kommen Sie her und stellen den Fuß hier drauf.”
    Während er den Schneeschuh befestigte, beugte sich Lauren vor und beobachtete jede seiner Bewegungen, um sich zu merken, wie er es machte.
    Dann stand Sam auf. “Jetzt warten Sie eine Sekunde.” Er ging zu dem Paket und holte

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