Zeugin am Abgrund
Einkäufe -- die Dinge, die jeder andere lernt -- waren für mich ein Buch mit sieben Siegeln. Darum war ich auch so froh, als Mr. Giovessi sich anbot, mir bei der Rückkehr ins Leben zu helfen. Ich erklärte ihm gleich zu Beginn, dass ich kein Geld von ihm nehmen wollte, und das schien er zu respektieren. Aber ich fand nichts verkehrt daran, jede andere Art von Hilfe anzunehmen.”
Sie schüttelte den Kopf. “Wie naiv ich doch gewesen bin. Noch bevor ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, hatte er mir den Job am College, die Wohnung und den Wagen besorgt. Ich hatte nie ein Apartment gemietet und nie ein Auto gekauft, darum dachte ich mir nichts bei den Preisen, die er mir nannte. Mir war nicht klar, dass er den größten Teil der Kosten trug. Nachdem ich den Unfall und Collins Verschwinden ein wenig verarbeitet hatte, schwor ich mir, niemals wieder von jemandem abhängig zu sein oder mir von einem anderen vorschreiben zu lassen, wie ich mein Leben zu führen hätte. Ich machte das alles zwar ziemlich spät durch, aber ich bin eine intelligente Frau, und ich wusste, dass ich alles erlernen könnte, was ich wollte, und dass es lediglich eine Frage der Zeit war.”
Sie atmete laut aus. “Und da beglückwünsche ich mich die ganze Zeit selbst, was ich alles erreicht habe. Ich habe wirklich geglaubt, eine unabhängige Frau geworden zu sein, und jetzt muss ich feststellen, dass Giovessi mich ständig unterstützt hat.”
Sie warf Sam einen ärgerlichen Blick zu. “Als wäre das nicht schon schlimm genug, bin ich jetzt völlig von Ihnen abhängig, sogar, was mein Überleben angeht. Wundert es Sie da noch, dass ich auf mich selbst wütend bin?”
“Wenn es Sie tröstet -- ich bin über diese Angelegenheit nicht glücklicher als Sie”, erwiderte Sam.
“Tatsächlich? So etwas. Darauf wäre ich nie gekommen.”
Er ignorierte ihren frostigen Sarkasmus und sah sie stattdessen aufmerksam an, ob er in ihrem Gesicht auch nur eine Spur von Täuschung entdecken konnte. Aber er fand nichts. Sie saß einfach nur da und erwiderte seinen Blick. Ihr Gesichtsausdruck war eine Mischung aus störrischer Unschuld und beleidigter Würde.
Verdammt. Entweder sagte sie die Wahrheit, oder sie war die beste Lügnerin, der er je begegnet war. Von letzterer Sorte waren ihm während seiner Zeit beim FBI einige Exemplare über den Weg gelaufen, nicht aber von der Sorte, die bei der Wahrheit blieb. Darum war er auch so skeptisch, was ihre Geschichte anging.
Lauren begann sich unter seinem durchdringenden Blick zu winden. “Sie glauben mir noch immer nicht, oder?” fragte sie schließlich.
Sam nahm sich für seine Antwort Zeit.
“Sagen wir mal, ich behalte mir mein Urteil vor.” Er nahm den Schneeschuh und machte sich wieder an die Arbeit.
Laurens Gesichtszüge verhärteten sich. “Vielen Dank für Ihr Verständnis.” Sie stand auf, griff sich wieder die Pfanne und ging zur Tür. “Ich wusste, dass ich nur meine Zeit verschwenden würde.”
“Denken Sie an die Sicherheitsleine”, warnte Sam sie. Er machte sich nicht die Mühe, zu ihr aufzusehen, doch aus dem Augenwinkel nahm er wahr, dass Lauren herumwirbelte und ihn anstarrte. Sie stand so verkrampft da, dass sie zitterte. Er wusste, dass sie mit dem Gedanken spielte, ihm die Pfanne an den Kopf zu schleudern.
“An Ihrer Stelle würde ich das nicht machen”, warnte er sie beiläufig.
Lauren blieb länger draußen als nötig. Sam vermutete, dass sie entweder noch immer vor Wut kochte oder absichtlich trödelte, um ihn zu ärgern. Oder sie nutzte die Gelegenheit, um “die Toilette aufzusuchen”, wie sie es so schön formuliert hatte.
Seine Mundwinkel zuckten. Egal was diese Frau sonst noch sein mochte, so war sie auf keinen Fall ein hirnloses Dummchen. Auch unter diesen widrigen Umständen legte sie die Eleganz und die tadellosen Manieren einer wohlerzogenen Lady aus dem achtzehnten Jahrhundert an den Tag. Dass sie überhaupt auf die Idee gekommen war, ihm eine Pfanne auf den Kopf zu schlagen, hatte etwas Komisches an sich.
Das flüchtige Lächeln verschwand von Sams Lippen. Carlo hatte eine altmodische Einstellung gegenüber Frauen. Entweder waren sie Sünderinnen oder Heilige. Lauren war dabei genau der Typ, den er anbeten und auf ein Podest stellen würde. Vor allem, wenn sie wirklich so musikalisch war, wie sie behauptete. Der Mafiaboss war fanatisch, was klassische Musik anging.
Aber sobald es darum ging, mit einer Frau ins Bett gehen zu wollen, stand der alte
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