Zeugin am Abgrund
dem Piloten nur zwei Männer.”
“Nur zwei? Aber gesehen hast du doch …”
“Genau. Fünf Männer und der Pilot waren beim Wrack. Das heißt, drei Leute verfolgen uns jetzt zu Fuß.”
Lauren fühlte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. Sam beobachtete wieder den Hubschrauber, der im Zickzack flog. “Du solltest besser beten, dass der Pilot von der vorsichtigen Sorte ist und bald nach Hause zurückkehrt. Je länger wir unter diesem Baum festsitzen, umso näher kommen uns die drei Killer.”
12. KAPITEL
D ie Sekunden verstrichen wie eine Ewigkeit. Nach zwanzig Minuten war Lauren so angespannt, dass sie am liebsten aus der Deckung der Tanne gestürmt und um ihr Leben gelaufen wäre.
Der Hubschrauber war nun so weit entfernt, dass das Dröhnen der Rotoren nur noch als fernes Summen zu hören war. Sam konnte ihn aber mit dem Fernglas immer noch beobachten.
“Jetzt”, sagte er schließlich. “Sie fliegen weg.”
“Endlich.” Lauren schloss die Augen und atmete erleichtert aus.
“Dann nichts wie los.” Sam griff sich den Rucksack und kroch unter den Zweigen hindurch. Lauren musste sich kein zweites Mal auffordern lassen, sondern war sofort dicht hinter ihm.
Wie lange haben wir uns jetzt versteckt? überlegte sie. Dreißig Minuten? Fünfundvierzig Minuten? Sie hatte keine Ahnung und wusste nur, dass es ihr wie eine Ewigkeit vorgekommen war.
Und die ganze Zeit über hatten die Männer, die hinter ihnen her waren, Boden wettmachen können.
Während sie durch den Schnee stapften, sah sie sich im Abstand von wenigen Minuten immer wieder um.
Schließlich verließen sie die Baumgruppe und waren auf freiem Gelände. “Los, los!” forderte Sam sie auf und legte wieder ein mörderisches Tempo vor. Lauren hatte nichts dagegen einzuwenden, auch wenn sie Schwierigkeiten hatte, nah genug hinter ihm zu bleiben, um ihn überhaupt noch sehen zu können. Sie beklagte sich selbst dann nicht, als der Hang steiler wurde. Lieber riskierte sie einen Sturz, als eine Kugel abzubekommen.
Stundenlang wanderten sie über unwegsames Gelände. Von Zeit zu Zeit mussten sie ihre Schneeschuhe abschnallen, weil Geröllhalden und Felsen das Weiterkommen behinderten, dann wiederum lag ein Abschnitt vor ihnen, der über einen Meter hoch mit Pulverschnee bedeckt war.
Lauren hatte in ihrem ganzen Leben noch nie etwas derart Anstrengendes unternommen. Bei jedem Schritt keuchte sie und schnappte nach Luft. Ihre Lungen brannten, und jeder Atemzug schmerzte im Hals. Ihre Beine waren schwer wie Blei, und durch das Gewicht des Matchbeutels hatte sie unerträgliche Schmerzen in Schultern und Rücken. Trotzdem ignorierte sie ihre Leiden und die Müdigkeit und kämpfte sich weiter. Irgendwo hinter ihnen waren drei Männer unterwegs, die es auf ihr Leben abgesehen hatten.
Gegen Mittag aßen sie einige Streifen Dörrfleisch und einen Energieriegel, ohne eine Pause einzulegen. Sam behielt das halsbrecherische Tempo unentwegt bei und blieb nur dann kurz stehen, wenn er auf den Kompass sah oder mit dem Fernglas die Umgebung inspizierte. Lauren nutzte diese kurzen Stopps, um einen Schluck Wasser zu trinken und zu Atem zu kommen, während sie sich gegen einen Baum oder einen Fels lehnte. Sie wagte es nicht, sich hinzusetzen, weil sie befürchtete, dass ihr die Kraft zum Aufstehen fehlte.
Nach einer schier endlosen Wanderung über Schneefelder und Geröllhalden, die oft so steil bergab führten, dass sie sich an Zweigen festhalten musste, um nicht den Halt zu verlieren, bewegte sich Lauren nur noch automatisch. Sie nahm nichts mehr um sich herum wahr, sondern wurde von dem Drang getrieben, immer weiterzugehen.
Als es dämmrig wurde, erwartete sie, dass sie in Kürze irgendwo ihr Lager aufschlagen würden, doch Sam machte keine Anstalten, sich für die Nacht niederzulassen.
“Sam! Wann … werden wir … für die Nacht .. anhalten?” rief sie abgehackt, da sie immer wieder nach Luft schnappte.
“Gar nicht”, erwiderte er. “Wir haben fast Vollmond. Der Schnee reflektiert das Mondlicht. Es wird sehr hell werden, darum werden unsere Verfolger keinen Halt machen”, erklärte er. “Also müssen wir auch weiter.”
Lauren sah zu den Schatten, die allmählich länger wurden. “Ist das nicht … gefährlich? Können wir … irgendetwas sehen?”
“Nicht viel, aber unter den Umständen ist es besser, wenn wir nachts weiterziehen.”
Wunderbar, dachte sie erschöpft. Wenigstens noch eine Sorge mehr.
Wenig später erreichten sie eine
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