Zeugin am Abgrund
bin nur ein bisschen aufgeregt. Aber ich lebe noch. Wir leben noch.”
“Ja”, pflichtete er ihr heiser bei.
Im nächsten Moment veränderte sich alles.
Die Stille, die sie umgab, war noch immer voller Gefahr und Angst, doch mit diesem einen Wort -- wir -- schien es auf einmal so, als wäre die Luft zwischen ihnen elektrisch geladen und würde Funken sprühen. Dieses Knistern beunruhigte sie beide.
Ihr wurde bewusst, in welcher intimen Position sie sich beide befanden. Sam lag noch immer auf ihr, ihre Gesichter waren sich so nahe, dass sie seinen warmen Atem auf ihrer Haut fühlen konnte. Zum ersten Mal sah sie die noch eine Spur dunkleren Pupillen seiner beinahe nachtschwarzen Augen. Sie konnte jede einzelne Bartstoppel sehen, jede der Wimpern, die seine Augen einrahmten.
Und sie sah die Hitze in dieser unergründlichen Schwärze.
Sam bedeckte ihren zierlichen Körper völlig. Trotz der dicken Parkas wurde ihr mit einem Mal bewusst, wie unterschiedlich sie gebaut waren. Sam war groß, durchtrainiert und zäh. Und äußerst männlich. Sie war dagegen klein und fast schon schmächtig.
Ihr Herz raste, und obwohl sich mehrere Lagen Stoff zwischen ihnen befanden, konnte sie Sams rhythmischen Herzschlag deutlich spüren.
Ihre Blicke trafen sich wieder -- suchend, eindringlich, begehrlich. Lauren hätte nicht wegsehen können, selbst wenn ihr Leben davon abgehangen hätte. Er versuchte gar nicht erst, das wilde Verlangen zu verbergen, das sein Gesicht verriet.
Zitternd erwiderte Lauren seinen Blick. So viele Gefühle tobten in ihr, lasteten schwer auf ihrer Brust und schnürten ihr die Kehle zu, so dass sie kaum atmen konnte.
Sie lagen unter der Tanne ausgestreckt. Die dünne Bergluft war so kalt, dass sie wie winzige Kristalle auf der Haut und in den Lungen stach. Dennoch war es Lauren heiß, fast so, als hätte sie Fieber.
Sams Blick wanderte zu ihrem geöffneten Mund. Sie sah, wie die Adern an seinen Schläfen pulsierten.
“Sam … wir … das ist …”
“Du bist wunderschön”, flüsterte er.
Seine Worte überraschten sie so sehr, dass sie nicht wusste, was sie erwidern sollte. “Ich …”, begann sie. Mit großen Augen sah sie ihn an. Bebend atmete sie aus und fuhr mit der Zungenspitze über ihre trockenen Lippen.
Seine Augen erfassten diese Bewegung, und sie sah, wie sich seine Pupillen weiteten. Schließlich legte er den Kopf ein wenig schräg.
Laurens Herz schien außer Kontrolle zu geraten, als er die Augen schloss und den Kopf langsam senkte. Sie machte gleichfalls die Augen zu und seufzte leise.
Sams Mund hatte ihren kaum berührt, als er plötzlich den Kopf hochriss und reglos verharrte.
“Was …?” begann Lauren, aber im selben Moment hörte sie das unheilvolle Geräusch. “O mein Gott. Sie kommen wieder! Sie haben uns gesehen!”
“Sei ruhig”, befahl er, als sie voller Panik aufspringen wollte. Er stützte sich auf einen Ellbogen und legte die andere Hand flach auf ihren Oberkörper, damit sie liegen blieb. Den Kopf zur Seite gelegt, lauschte er aufmerksam.
Das Geräusch kam näher, und wieder schwankten die Bäume hin und her. Lauren wand sich, aber der Hubschrauber flog mit gleich bleibender Geschwindigkeit weiter.
Sam sah sie ernst an. “Beweg dich erst, wenn ich es dir sage.” Er wartete, dass sie ihm zustimmte, doch sie starrte ihn nur weiter an. Er hob die Augenbrauen und fragte: “Verstanden?”
Sie nickte und schluckte schwer. “J…ja.”
Noch einen Moment länger ließ er den Blick auf ihr ruhen, dann nickte er, rollte sich zur Seite und streifte den Rucksack ab.
Auf dem Bauch robbte er bis zum äußersten Rand der tief hängenden Zweige, nahm das Gewehr von der Schulter und beobachtete die Umgebung. Er nahm das Fernglas, das er noch immer um den Hals trug, und sah dem Hubschrauber nach. “Alles in Ordnung. Sie suchen in einem Gittermuster. Nachdem sie unsere Spur gefunden haben, werden sie sich wahrscheinlich ausgerechnet haben, wie groß unser Vorsprung sein dürfte. Dann haben sie in allen Richtungen diesen Radius abgesucht. Lange können sie das aber nicht durchhalten, weil ihnen der Treibstoff allmählich ausgeht und sie umkehren müssen. Wir müssen einfach nur hier sitzen bleiben und warten.”
“Gott sei Dank.” Lauren schloss erleichtert die Augen. “Wenn sie die Suche aufgeben, sind wir in Sicherheit. Sie werden uns nicht länger verfolgen.”
“Nicht ganz.” Sam ließ das Fernglas sinken und sah zu Lauren. “In der Maschine saßen außer
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