Zeugin am Abgrund
Mehl, aber wenigstens würde es Lauren wärmen.
Mit schnellen Bewegungen zog er ihr Parka, Stiefel und Socken aus und runzelte die Stirn, als er die Blasen an ihren Fußsohlen entdeckte. Die mussten verdammte Schmerzen verursacht haben, und trotzdem hatte sie kein Wort gesagt. Er schüttelte den Kopf und machte weiter, um sie von Sweatshirt, Wollhosen und beiden langen Unterhosen zu befreien. Lauren ließ das alles über sich ergehen, ohne auch nur einmal einen Laut von sich zu geben.
Als Sam vor vier Tagen für sie Kleidung gekauft hatte, hatte er gezielt praktische und nicht gerade reizvolle Baumwollunterwäsche ausgesucht, dazu einfache und zweckmäßige BHs. Er war davon ausgegangen, dass ihm jede Lust vergehen würde, wenn er sich vorstellte, wie sie in den Sachen aussah. Nachdem er sie jedoch jetzt bis auf eben diese Unterwäsche entkleidet hatte, stockte ihm der Atem. Fasziniert betrachtete er Lauren. Er hatte Frauen in knappen Bikinis gesehen, die nicht annähernd so attraktiv gewirkt hatten. Lauren war klein und zart, aber ihr Körper wies wunderschöne Rundungen auf.
Er fluchte lautlos und drehte sie auf die Seite, um den BH zu öffnen. Zwar versuchte er, nicht auf ihren Busen zu sehen, doch allein ein zufälliger Blick auf diese kleinen, vollkommenen Rundungen genügte, dass er heftig schlucken musste.
Dann bemerkte er an ihren Schultern und rund um ihren Oberkörper rote Striemen. Ihm wurde klar, dass die Haut wund gerieben war, nachdem sie vier Tage ohne Pause ihren BH getragen hatte.
Sam zog die Bettdecke über sie, nahm eine Kerze und ging ins Badezimmer, das gleich nebenan lag. Dort suchte er so lange, bis er einen Verbandskasten gefunden hatte. Mit einer Tube kehrte er ins Schlafzimmer zurück und trug eine Wundcreme auf die Blasen und die roten Striemen auf, während er sich bemühte, Laurens Körper nicht weiter wahrzunehmen. Dann zog er ihr das Nachthemd über und packte sie unter einen Stapel dicker Decken. Lauren seufzte zufrieden und drückte ihr Gesicht tiefer in das weiche Kopfkissen.
Sam sah sie an und spürte einen unerklärlichen Druck, der auf seiner Brust lastete. Was zum Teufel war nur los mit ihm?
Wütend auf sich drehte er sich abrupt um und ging zurück in den großen Raum. Nachdem er das Feuer wieder geschürt hatte, überprüfte er, ob alle Fenster und Türen geschlossen waren. Dann nahm er alle Töpfe und Pfannen, die er im Schrank der Kochnische finden konnte, und hängte vor jedes Fenster einen Topf, den er mit einer Schnur an der Gardinenstange befestigte.
Auf dem Dachboden entdeckte er zwei Doppelbetten und beschloss, dort zu schlafen. Es gab keinen Grund, warum sie sich heute Nacht wieder ein Lager teilen sollten. Auch wenn das Unmögliche geschah und die drei Killer es trotz des Sturms bis hier schafften, wäre er beim ersten Geräusch in Sekunden im Erdgeschoss, um Lauren zu beschützen. Außerdem war ein wenig Distanz zwischen ihnen im Moment nicht verkehrt.
Nachdem Sam dann alle Sicherheitsvorkehrungen erledigt hatte, zog er sich bis auf seine Shorts aus und schlüpfte schließlich doch zu Lauren ins Bett. Als sie sich im Schlaf zu ihm umdrehte, legte er die Arme um sie und zog sie an sich.
Er ließ sein Kinn auf ihrem Kopf ruhen und starrte in die Dunkelheit. Er war erschöpft, aber seine sorgenvollen Gedanken ließen ihn nicht zur Ruhe kommen. Seit er diese Frau zum ersten Mal gesehen hatte, fühlte er sich auf eine unerklärliche Weise zu ihr hingezogen. Er hatte versucht, sie nicht zu mögen, er hatte sie absichtlich grob und unfreundlich behandelt, doch diese Gefühle für sie wollten einfach nicht verschwinden. Selbst als er noch der Ansicht gewesen war, sie sei Giovessis Geliebte, hatte er sie begehrt -- und nicht nur auf einer sexuellen Ebene. Sie hatte etwas an sich, das in ihm den Wunsch weckte, sie in die Arme zu nehmen und sie nur für sich zu beanspruchen. So etwas hatte er noch bei keiner Frau erlebt, und genau das erfüllte ihn mit einem Anflug von Panik.
Er war vielen Frauen begegnet, die ihm gefielen, und mit etlichen von ihnen hatte er geschlafen. Immerhin war er siebenunddreißig Jahre alt und ein kerngesunder Mann. Aber in der Vergangenheit war es immer etwas rein Körperliches gewesen. Seine Empfindungen gegenüber diesen Frauen waren angenehm gewesen, und in manchen Fällen hatte er echte Anziehung verspürt, wenn auch nur flüchtig. Doch noch nie zuvor hatte er sich einer Frau so … so … verbunden gefühlt, noch nie war das Verlangen
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