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Zeugin am Abgrund

Zeugin am Abgrund

Titel: Zeugin am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ginna Gray
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der Angst gelebt, dass du dich von ihm und der Ranch abwenden würdest. Als du dann zum FBI gegangen bist, hat sich sein schlimmster Albtraum erfüllt.”
    “Wenn das alles stimmt, warum hat er es mir dann nicht einfach gesagt?”
    “O bitte”, gab Eunice zurück. “Gerade du solltest die Antwort auf diese Frage wissen. Du bist schließlich so wie er. Ihr Rawlins-Männer seid alle stur. Du versteckst deine Gefühle hinter diesem rauen Auftreten. Als ob es dich umbringen würde, wenn jemand sieht, dass du auch zärtlich sein kannst. Du kannst es ja genauso wenig zugeben wie er, wenn du dich verletzt fühlst.”
    Sam wusste nicht mehr, was er sagen sollte. Er war immer davon ausgegangen, er hätte die Erwartungen seines Vaters nicht erfüllt hatte. Es war ihm nie in den Sinn gekommen, Augustus könnte Angst haben, ihn zu verlieren.
    “Er hat wirklich geglaubt, ich würde die Double R für immer verlassen? Um keinen Preis der Welt. Ich bin nur zum FBI gegangen, damit wir uns nicht ständig auf die Füße treten. Als ich vor sechzehn Jahren ging, war Dad ein vitaler Mann. Ich habe ihn jetzt ein paar Jahre nicht gesehen, aber nach allem, was ihr mir erzählt, ist er das immer noch. Ich wollte mich ihm nicht als verweichlichter Jasager unterordnen, und da wir uns ständig über alles gestritten haben, wollte ich uns beiden einen Gefallen tun und ihn die Ranch so führen lassen, wie er es wollte. Ich bin immer davon ausgegangen, dass ich eines Tages zurückkehre und die Ranch für ihn führe, wenn er es nicht mehr so gut kann. Aber ich hatte nie die Absicht, ihn oder die Double R im Stich zu lassen. Ich liebe die Double R.”
    Sam machte eine kurze Pause, dann fuhr er fort: “Verdammt! Ich geb’s ja zu. Ich liebe diesen mürrischen alten Kerl auch. Gott allein weiß den Grund dafür. Aber nur weil ich auch das Volk meiner Mutter liebe, heißt das doch nicht, dass ich ihn im Stich lasse. Wie konnte er bloß auf diese Idee kommen?”
    “Dürfte nicht so schwer gewesen sein”, erwiderte Walt. “Du darfst nicht vergessen, Junge, dass Augustus deine Mutter sehr geliebt hat. Und sie hat ihn auch geliebt, wirklich. Am Ende war die Sehnsucht nach ihren Leuten und deren Lebensart einfach zu stark, und dadurch hat Augustus sie verloren. Warum sollte er meinen, dass es bei dir anders sein würde?”
    Bevor Sam sich darüber Gedanken machen konnte, hatte ein Pick-up das Haus erreicht und kam rutschend auf dem Kiesweg, der in U-Form vor dem Eingang verlief, zum Stehen. Eine Wagentür wurde zugeschlagen, und einen Augenblick später flog die Haustür auf.
    “Wo ist er? Wo ist mein Sohn? Sam!”
    Im nächsten Moment stand Augustus Rawlins in der Türöffnung, die er fast völlig ausfüllte. Als er Sam entdeckte, huschte zunächst ein Anflug von Erleichterung über sein von Wind und Wetter gegerbtes Gesicht, die aber sofort Wut und Verständnislosigkeit Platz machte. “Junge! Was zum Teufel ist los?”
    Sam versteifte sich. Die widerstreitenden Emotionen, die er gerade noch empfunden hatte, verschwanden rasch und wichen der seit langem gewohnten Abneigung. Er begegnete dem fordernden Blick seines Vaters mit Augen, die so kalt wie Stahl waren. “Ich arbeite nicht für die Mafia”, erwiderte er gepresst.
    “Das ist mir auch klar”, bellte Augustus. “Ich will wissen, wer den Reportern diesen Unsinn auftischt. Und warum.”
    Die Antwort überraschte Sam. “Du glaubst mir?”
    “Verdammt, Junge, natürlich glaube ich dir!” polterte der alte Mann. “Wir haben ja vielleicht unsere Meinungsverschiedenheiten gehabt, und es könnte auch sein, dass du mit mir und mit der Ranch nichts mehr zu tun haben willst, aber bei Gott, du bist immer noch mein Sohn. Du bist ein guter und ehrlicher Mensch. Jeder, der etwas anderes behauptet, ist entweder ein verdammter Lügner oder ein Schwachkopf.”
    Sams Kehle war mit einem Mal so zugeschnürt, dass er kaum noch sprechen konnte. “Danke, Dad”, war alles, was er heiser herausbrachte.
    Bevor er die Absicht seines Vaters erahnen konnte, stürmte der alte Mann quer durch das Zimmer auf ihn zu und umarmte ihn so heftig, dass Sam spürte, wie die Luft aus seinen Lungen gepresst wurde. Zu schockiert, um zu reagieren, stand er einige Augenblicke lang wie versteinert da, während sein Vater ihm auf den Rücken klopfte. Schließlich schaffte er es, die Umarmung zaghaft zu erwidern.
    Als Augustus Sam wieder losließ, wirkte er ein wenig verlegen. Er räusperte sich, machte einen Schritt zurück

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