Zeugin am Abgrund
und trat nervös von einem Fuß auf den anderen. Dann ging sein Blick vorbei an Sam und fand Lauren. “Das muss Ms. Brownley sein, von der in den Nachrichten dauernd berichtet wird. Nach der Geliebten eines Mafioso sieht sie überhaupt nicht aus.”
“Ist sie auch nicht”, gab Sam unwirsch zurück. “Lauren ist eine Konzertpianistin, die einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort war und einen Mord mit angesehen hat.”
“Das stimmt, Gus”, bestätigte Eunice. “Lauren hat bis gerade eben noch am Piano gesessen und gespielt.”
Augustus hörte kaum, was seine Schwester sagte. Er hatte den Kopf schräg gelegt und betrachtete den wütenden Gesichtsausdruck seines Sohns, dann sah er noch einmal Lauren und schließlich wieder Sam an. “Ich verstehe. Ich hätte mir eigentlich denken können, dass sie über sie auch nicht die Wahrheit erzählt haben.”
Er nahm seinen Stetson ab, ging zu Lauren und streckte eine Hand aus. “Ich bin Augustus Rawlins, der Vater von Sam. Freut mich, Sie kennen zu lernen, Ms. Brownley. Ich hoffe, Sie entschuldigen, was ich da gerade gesagt habe.”
“Natürlich, Sir. Ich verstehe das schon. Woher sollten Sie es auch wissen?”
Sam sah zu, wie Laurens kleine, zierliche Hand zwischen den schwieligen Pranken verschwand, die Augustus ihr entgegenstreckte. Er und sein Vater waren gleich groß und hatten einen sehr ähnlichen Körperbau, auch wenn Augustus’ Schultern mit zunehmendem Alter ihre Spannkraft einbüßten. Selbst mit vierundsechzig Jahren war er immer noch ein großer Mann, der so zäh und stark wie ein Ochse war. Er überragte Lauren deutlich und betonte dadurch umso stärker, wie klein und zierlich gebaut sie eigentlich war.
Sam wusste zwar, dass sein Vater weder Lauren noch einer anderen Frau wehtun würde, aber er hielt sich nur mit Mühe zurück, zu ihr zu eilen, seine Arme um ihre Schultern zu legen und sie beschützend an sich zu ziehen.
Was war es bloß, das Lauren für ihn so anziehend machte? Er hatte schon früher Zeuginnen beschützt und dabei gute Arbeit geleistet, aber noch nie war es so gewesen wie bei Lauren.
Natürlich hatte er auch mit keiner der anderen Zeuginnen geschlafen.
Doch das war es nicht. Er begehrte Lauren, daran bestand gar kein Zweifel. Und er konnte auch nicht abstreiten, dass ihre Schönheit ihn betörte. Aber er hatte auch andere Frauen vor ihr begehrt. Obwohl … er musste zugeben, dass er diese Art von Leidenschaft nicht mehr verspürt hatte, seit er mit sechzehn versucht hatte, im Heuschober die Tochter des Vorarbeiters zu verführen.
Nein, hier war eindeutig mehr im Spiel als Sex.
Sam legte die Stirn in Falten, da ihm der Gedanke gar nicht behagte. Aber er wusste, dass es stimmte. Etwas an Lauren weckte in ihm einen Beschützerinstinkt, von dem er nicht gewusst hatte, dass er ihn besaß.
War es ihre elegante Erscheinung? Oder diese Kultiviertheit, die so tief in ihr steckte? Auch als sie durch die Wildnis marschiert waren, hatte jede ihrer Bewegungen eine unterschwellige Eleganz ausgestrahlt.
Vielleicht reagierte er auf ihre forsche Art und ihren scharfen Verstand. Oder auf diese unverrückbare Entschlossenheit, auf eigenen Füßen zu stehen.
Oder war es einfach die Kombination aus allem?
“Würdest du mir mal erklären, was eigentlich genau los ist?” wollte Augustus wissen, nachdem er sich einen Moment lang mit Lauren unterhalten hatte. “Vor nicht mal einer Stunde ist eine ganze Kolonne von FBI-Wagen bei mir vorgefahren, um nach dir zu suchen.”
Sam war sofort alarmiert. “Was hast du ihnen gesagt?”
“Was meinst du denn? Natürlich die Wahrheit. Dass du nicht da bist, dass ich nichts von dir gehört habe. Sie haben mir kein Wort geglaubt. Diese Trottel wollten das ganze Haus auf den Kopf stellen, aber denen habe ich die Meinung gegeigt. Ich habe ihnen gesagt, wohin sie sich ohne Durchsuchungsbefehl scheren sollten, und dann habe ich sie rausgeschmissen und sie davor gewarnt, mir noch mal zu nahe zu kommen.”
Sam sah wieder aus dem Fenster. “Wir können darauf wetten, dass sie noch immer irgendwo da draußen rumschwirren und darauf warten, dass ich mit Lauren aufkreuze. Wahrscheinlich beobachten sie jeden Eingang zur Ranch.”
“War wohl doch eine gute Idee, dass du uns angerufen hast”, sagte Walt. “Hier hat sich noch kein Agent blicken lassen.”
Das liegt nur daran, dass sie nichts von dieser Ranch wissen, dachte Sam. Es war nie seine Art gewesen, irgendjemanden in die Details seines Lebens
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