Zeugin am Abgrund

Zweig kratzte seitlich an der Karosserie entlang. Lauren stieß einen spitzen Schrei aus.
    “Halt dich gut fest”, empfahl Sam ihr. “Dieser Weg wird kaum benutzt, er ist schmal und holprig.”
    Das wenige Mondlicht, das sich zwischen den kahlen Ästen einen Weg bahnte, sorgte nur für schwache Beleuchtung. Während sie auf dem Weg durch die Dunkelheit entlangholperten, rutschte Lauren nach vorn und versuchte durch die Windschutzscheibe etwas zu erkennen. Mit einer Hand hielt sie sich am Armaturenbrett fest, mit der anderen am Sitz. Jedes Mal, wenn etwas gegen den Pick-up schlug, stöhnte sie leise auf.
    Als sie den Wald durchquert hatten, führte der Feldweg einige Meter weit über eine Lichtung hin zu einem Tor, hinter dem sich eine zweispurige, geteerte Straße befand. Sam ließ den Wagen am Waldrand ausrollen und beobachtete die Umgebung, während der Motor weiterlief.
    “Mist.”
    “Was? Was ist?” Lauren sah sich erschrocken um.
    “Da steht ein Wagen.”
    “Wo? Ich sehe nichts.”
    “Etwa fünfzig Meter rechts von dir. Er steht im Schatten dieser großen Fichte auf der anderen Seite.”
    Lauren beugte sich vor und suchte die Finsternis ab, konnte aber nichts entdecken. “Bist du sicher? Ich kann noch immer nichts entdecken.”
    “Ich bin sicher.”
    “Und jetzt?”
    “Garantiert sitzt jemand in dem Wagen und beobachtet das Tor. Damit ist sicher, dass wir nicht hier bleiben können. Wenn sie sich nicht schon längst Durchsuchungsbefehle für diese Ranch und die Double R besorgt haben, dann kannst du davon ausgehen, dass in diesem Moment irgendwo ein Richter geweckt wird, damit er sie ausstellt. Edward kann vor morgen diese Jagd nicht stoppen. Das heißt, wir haben keine andere Wahl. Wir müssen weiter.”
    Sam sah Lauren an. Trotz der Dunkelheit konnte er die Angst in ihren Augen erkennen. Sie hielt aber seinem Blick stand und gab keinen Laut von sich. Er konnte einfach nicht anders und zog sie an sich, um ihr einen leidenschaftlichen Kuss zu geben. Er spürte, wie ihr Puls zu rasen begann.
    Er legte den Kopf ein wenig zurück und sah ihr tief in die Augen. “Bereit?”
    Sie starrte ihn an. Ihre Augen waren weit aufgerissen und glitzerten in der Dunkelheit wie grünes Glas. Sie atmete tief durch, presste die Lippen zusammen und nickte schließlich.
    “Braves Mädchen.” Sam küsste sie flüchtig, dann richtete er sich auf und legte die Hände fest um das Lenkrad. “Festhalten.”
    Er ließ den Motor aufheulen und schoss förmlich aus dem Schutz der Bäume. Sie brachen durch das Gitter und rutschten in einer engen Linkskurve auf die Straße. Erst in dem Moment machte Sam das Licht an.
    “Halt dich fest. Sie kommen.”
    Lauren drehte sich um und sah an einer Stelle Scheinwerfer aufleuchten, die einfach nur schwarz gewesen war. Während sie zusah, wurde das Scheinwerferpaar größer. “O Gott, sie holen uns ein, Sam!”
    Sam erwiderte nichts. Von der Seite sah er aus, als wäre sein Gesicht in Stein gemeißelt. Er trat das Gaspedal weiter durch, der Pick-up beschleunigte, und für einen Moment vergrößerte sich der Abstand zu ihren Verfolgern.
    “Sie kommen wieder näher!”
    Sam gab Vollgas und ließ den Pick-up förmlich über den leeren Highway schießen.
    Lauren blickte wieder über die Schulter. “Sie bleiben jetzt auf gleicher Distanz”, berichtete sie ihm.
    Er sah in den Rückspiegel, als auf der Beifahrerseite des Wagens hinter ihnen etwas aufblitzte. Fast im selben Moment schlug etwas in die Heckklappe des Pick-ups ein, und Lauren schrie auf.
    “O mein Gott! Sie schießen auf uns!”
    Sie hatte kaum ausgesprochen, da zersplitterte die Heckscheibe.
    “Runter! Geh runter!” schrie Sam. Während er mit einer Hand das Lenkrad festhielt, packte er Lauren und drückte sie nach unten in den Fußraum. Ein weiterer Schuss traf den rechten Außenspiegel.
    Sam versuchte ein Ausweichmanöver, hatte aber nicht viel Spielraum, wenn er nicht riskieren wollte, dass der Pick-up sich überschlug.
    Auf dem Boden zusammengekauert presste Lauren die Hände auf ihre Ohren und schrie bei jedem Schuss, der den Wagen traf.
    “Verdammte …”
    Im Scheinwerferkegel tauchten praktisch aus dem Nichts einige Rehe vor ihnen auf.
    Sam riss das Steuer herum, um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Zwei der Räder verloren die Bodenhaftung, und der Pick-up drohte zur Seite zu kippen, fuhr aber immer noch weiter. Fluchend versuchte Sam gegenzulenken, während Lauren weiterschrie.
    Nach einer Ewigkeit, die in