Zeugin am Abgrund
einzuweihen, aber in diesem Fall hatte das Schweigen einen anderen Grund gehabt. Als er sich beim FBI beworben hatte, empfand er die routinemäßige und intensive Ausleuchtung seiner Vergangenheit empörend, die er so wie jeder Kandidat über sich hatte ergehen lassen müssen. Er hatte bewusst verschwiegen, wem die Ranch neben der seines Vaters gehörte. Eine innere Stimme hatte ihm geraten, das geheim zu halten -- nur für den Fall, dass er jemals würde untertauchen müssen und nicht gefunden werden wollte.
“Du hast mir noch immer nicht verraten, wie du dich in diesen Schlamassel hineingeritten hast”, sagte Augustus. “Ich dachte, das FBI sei eine ehrbare Organisation.”
“Ist es auch. Aber es gibt immer wieder schwarze Schafe.” Zum dritten Mal an diesem Abend fasste Sam die Ereignisse der letzten Tage zusammen. Als er fertig war, stieß sein Vater einen bewundernden Pfiff aus.
“Und was willst du machen, Sohn? Wenn du dich an niemanden aus deinem Büro wenden kannst, bist du doch ganz auf dich allein gestellt.”
“Ich weiß. Ich hatte vor, heute Nacht hier zu bleiben und morgen mit Lauren zu unserer alten Jagdhütte aufzubrechen.”
“Sind wir hier überhaupt noch sicher, wenn so viele Agenten ganz in der Nähe sind?” fragte Lauren.
“Für den Moment ja.”
“Oh-oh. Sieht so aus, als wäre die Zeit schon abgelaufen”, rief Walt und zeigte aufs Fenster. “Da kommt eine ganze Kolonne auf das Haus zu.”
“Verdammt.” Sam packe Lauren am Arm, zog sie vom Fenster weg und drückte sie an die gegenüberliegende Wand. Er warf seinem Vater einen verärgerten Blick zu. “Sie müssen dir gefolgt sein.”
“Ich wüsste nicht, wie. Ich bin nicht dumm, mein Junge. Ich bin über den Feldweg gefahren, der die beiden Grundstücke miteinander verbindet. Ich schwöre dir, dass mich dort keine Menschenseele gesehen hat.”
Das bedeutete, dass sie die Verbindung zu dieser Ranch herausgefunden hatten. Und für Sam gab es nur eine Möglichkeit, wie es dazu hatte kommen können.
Augustus stürmte auf den Gewehrschrank in der Ecke zu. “Hilf mir, Walt. Ich lasse es nicht zu, dass sie meinen Jungen holen.”
“Nein, Dad, keine Waffen!”
“Warum nicht? Wir kriegen die schon klein. Das sind vielleicht fünfzehn oder sechzehn, und wir sind zu fünft. Von Lauren abgesehen sind wir alle großartige Schützen.”
“Und dann? Du kannst mir eines glauben, Dad. Wenn du einen von ihnen erschießt, marschiert das FBI mit einer ganzen Armee auf. Lauren und ich werden getötet, und du verbringst die nächsten zwanzig Jahre im Gefängnis. Wir müssen hier raus, das ist unsere einzige Chance.”
“Also gut, dann nimm meinen Pick-up und folge der Straße, die nach hinten wegführt. Fahr ohne Licht. Und beeil dich, bevor sie nahe genug sind, um den Wagen zu bemerken”, befahl Augustus ihm.
“Bist du sicher?”
“Los, Junge. Bring Lauren in Sicherheit. Walt und ich werden diese Trottel schon aufhalten.”
Mit Lauren im Schlepp eilte Sam zur Tür, blieb nach zwei Schritten stehen, ging zurück und nahm seinen Vater in die Arme. “Danke, Dad, ich …”
“Ich weiß, Sohn, ich weiß”, sagte Augustus schroff. “Und jetzt mach endlich, solange noch Zeit ist.”
Vater und Sohn sahen sich einen Moment in die Augen, dann wandte Sam sich ab und lief mit Lauren an der Hand los.
An der Eingangstür angekommen, schnappte er sich im Vorbeilaufen den Matchbeutel und stürmte aus der Haustür. Er legte Lauren eine Hand auf den Rücken und gab ihr einen Schubs, damit sie auf die Beifahrerseite des Pick-ups rutschte, dann warf er ihr die Tasche zu. Er sah hinüber zu der Perlenkette aus Scheinwerferpaaren, die bereits gut die Hälfte der zur Farm führenden Straße zurückgelegt hatte.
Er sprang in den Wagen, drehte den Schlüssel und startete den Motor. Sam nahm sich nicht die Zeit, dem Kiesweg zu folgen, sondern fuhr einfach geradeaus durch das Blumenbeet, das seine Tante so liebte, und lenkte den Pick-up ums Haus herum. Nachdem sie an der Scheune vorbeigefahren waren, befanden sie sich in völliger Dunkelheit. Sam steuerte auf den Wald zu, der das weitläufige Grundstück im Osten begrenzte. Lauren gab einen erschreckten Laut von sich.
“O Gott, wir werden gegen einen Baum rasen!”
“Beruhige dich, es ist alles in Ordnung. Ich kann im Mondlicht genug sehen. Außerdem kenne ich diesen Wald in- und auswendig. Gleich da vorne ist ein Feldweg.” Er riss das Lenkrad hart nach rechts, und ein tief hängender
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