Zicke
diesem Moment. »Ich bin ohnehin die meiste Zeit hier. Privatleben habe ich nicht. Ich werde auf dich aufpassen.«
»Damit komm ich schon klar«, meinte ich. »Ich hab ihn im Griff.« Ich wusste nicht, ob das stimmte. Ich wusste einzig und allein, dass ich das Geld brauchte.
»Du bleibst? Na Gott sei Dank.« Er zog irgendwelche Formulare aus seinem Hefter. »Lass uns das mit der Steuer und der Krankenversicherung erledigen, dann arbeite ich dich ein, okay?«
»Okay.«
***
Ich schaffte es, Tommy fast den ganzen Abend aus dem Weg zu gehen, indem ich Michael nicht von der |73| Seite wich, der mir zeigte, wie man eine Pizza macht (schwieriger als es aussieht), wie die Spülmaschine zu bedienen war (nicht gerade Hirnchirurgie), wo die Sachen im Kühlraum aufbewahrt wurden (ein totales Chaos), wie ich die Salatbar nachfüllen sollte (angegammelte Seite nach unten) und wie die Schneidemaschine funktionierte
( ohne
dass ich mir die Hand abschnitt). Als er einen Anruf bekam und nach hinten verschwand, wischte ich geschäftig die Salatbar und sämtliche Tische ab.
Tommy lehnte an der Kasse und sah mir zu. »Willst du mir nicht Hallo sagen, Dee Dee?«
Seine Stimme schnitt durch mich hindurch. Erstaunlich, was dein Körper genau in dem Moment, wo du es gar nicht willst, alles anstellt: Das Herz fängt an zu rasen, die Finger schmerzen. Ich hatte seine Stimme immer gemocht, tief und lässig; die Art von Stimme, die dich lauschen lässt; eine Stimme, die mich immer noch ins Taumeln brachte, als ich sie meinen alten Kosenamen sagen hörte. »So nennt mich keiner mehr.«
»Ich schon.« Ein Bekenntnis.
»Dann lass es bleiben.«
»Okay, Dee Dee.«
Ich ging nach hinten in den Kühlraum, wo ich mich auf einen Eimer mit geschnittenen Tomaten setzte. Es war kalt dort drin, das schon, aber ruhig. Ich konnte nachdenken. Nicht, dass ich Tommy seit jener Nacht mit meinem Dad jetzt zum erstem Mal wieder begegnet wäre; ich hatte ihn einige Male durch die Gegend fahren sehen und einmal auf einer Party getroffen. |74| Aber das war immer wie eine Halluzination gewesen oder etwas aus einem Traum. Hier war er, er war lebendig und ging umher und redete – redete mit mir, wie er es früher immer getan hatte, nannte mich ›Dee Dee‹.
Komm schon, Dee Dee. Komm schon.
Ich wusste noch genau, wie es sich angefühlt hatte, als er meinen Pferdeschwanz um seine Hand schlang und ihn nach hinten zog, bis ich den Wink verstand, dass ich runter sollte.
Komm schon.
Das wäre doch gar kein richtiger Sex, behauptete er, ich würde ja dann immer noch Jungfrau sein.
Dann, nach einer Weile, war Jungfrau zu sein nicht mehr allzu wichtig.
Ich hatte auch jetzt einen Pferdeschwanz, weil Michael gesagt hatte, ich müsste mir die Haare zurückbinden. Ich schlang ihn zu einem Knoten und trat hinaus in das düstere Licht des Restaurants.
»Ah, da bist du ja«, sagte Michael. »Wir haben Kundschaft. Geh und hilf Tommy mit den Pizzen.«
Ich nahm mir einen Pizzateig und stellte mich neben Tommy an den Tresen. Er warf mir einen Blick zu und lächelte. »Wo ist dein Pferdeschwanz, Dee Dee?«
Etwas in mir kochte wieder hoch, und ich hätte sagen sollen: ›Geh zum Teufel!‹, aber ich wollte ihm nichts zeigen, nichts geben, nicht den kleinsten Wink, dass er nach wie vor etwas in mir auslöste – und wenn es auch nur Hass war.
***
|75| Michael wartete draußen mit mir, nachdem Tommygegangen war. Darren hätte mich um halb zwölf abholen sollen. Um zehn vor zwölf war er immer noch nicht erschienen. Auf dem Parkplatz für den ganzen Strandbereich standen vielleicht noch acht Autos; Nebel kroch über den Asphalt herein.
»Ich schlaf hier gleich im Stehen ein …« Michael blickte auf die Uhr. »Soll ich dich kurz nach Hause fahren?«
»Er wird schon kommen. Du musst nicht warten.«
Michael saugte an seiner Zigarette – der Kerl war ein Nikotinfreak! »Und, war’s schrecklich? Kommst du wieder?«
»Ich brauche das Geld.«
Er nickte. »Weshalb sonst sollte jemand hier arbeiten? Ich weiß, es ist eine Spelunke, aber es ist
meine
Spelunke.«
Darrens Wagen kam auf den Parkplatz gefahren.
»Da ist er.«
Michael klopfte mir auf die Schulter. »Okay, wir sehen uns morgen.«
Ich stieg ins Auto. Kaum hatte ich die Tür geschlossen, fragte Darren: »Wer ist dieser Typ?«
»Michael, mein Chef.«
»Ist der jetzt schon hinter dir her?«
»Mein Gott, Darren.« Seit der Geschichte mit Tommy übertrieb es Darren etwas mit dem Beschützen, beobachtete ständig
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