Zicke
er einen langen Zug nahm, und stellte mir vor, wie gut sich der Rauch anfühlen würde, wenn er meine eigene Kehle hinab in meine Lungen dringen würde. Mit einem Seufzer blies Michael den Rauch aus. »Mein Gott, das hab ich gebraucht.«
»Ich hab’s im Januar aufgegeben«, sagte ich. »Mit zwölf hab ich angefangen.«
»Gut für dich. Das mit dem Aufgeben, meine ich. Es ist auf meiner To-do-Liste.«
Kurz bevor April geboren wurde, hatten Darren und ich gemeinsam aufgehört. Er hatte uns eine Packung Nikotinpflaster gekauft, die ich mir auf den Po geklebt hatte, damit sie niemand sah. Doch in diesem Moment hatte ich wieder Lust auf eine Zigarette, und es erregte mich zu sehen, wie Michael die seine genoss. »Ist das nicht verboten?«, fragte ich. »In einem Restaurant zu rauchen?«
»Ja, schon.«
|70| Ich starrte in mein Malzbier und musterte die Bläschen, die an die Oberfläche sprudelten. »Ich glaube nicht, dass ich hier arbeiten kann.« Ich sagte es möglichst leise, damit Tommy mich nicht hörte.
»Wie bitte? Rede keinen Unsinn!« Er drückte seine Zigarette aus. »Sieh mal, ich hör auf damit. Ich werde nicht rauchen, solange du hier bist.«
»Darum geht’s nicht.«
»Oh.« Er blickte auf die tadellose Zigarette, die er gerade ruiniert hatte.
»Ist Tommy jeden Abend hier?«
»Also, normalerweise habe ich entweder Tommy oder Brenda hier. Aber Brenda arbeitet tagsüber.« Michael seufzte und zündete sich noch eine an. »Ist das wirklich ein Problem? Seid ihr frisch getrennt?« Er neigte sich vor und sprach mit gesenkter Stimme, die eher zu einem tratschenden Teenager als zu einem Chef gesetzten Alters passte. »Du bist noch zu jung, um eine Vergangenheit zu haben.«
Wenn er wüsste! »Es ist etwa drei Jahre her.«
»Drei Jahre? Da warst du noch …« Er schlug einen Hefter auf und sah sich meine Bewerbung an. »Du bist mit Tommy gegangen, als du
dreizehn
warst? Ist er nicht schon mit der Highschool fertig?« Seine Miene war nun nicht mehr überrascht, sondern besorgt. »Ist das nicht eine … Straftat?«
»Ja«, murmelte ich, und ließ offen, wozu ich Ja sagte.
Außerdem hätte ich es nicht gerade als ›mit Tommy gehen‹ bezeichnet. Er war gelegentlich aufgetaucht, hatte mich im Buick von der Junior High abgeholt – |71| einem 77er Riviera, den er netter behandelte als jeden seiner Freunde – und war mit mir runter zur Half Moon Bay gefahren. Wir hatten am Strand was geraucht, bis wir stoned gewesen waren, und rumgemacht. Nicht, dass er mich je angerufen hätte oder mit mir woanders hingefahren wäre. Was die Straftat anging, wusste mein Dad, dass er ihn hätte anzeigen können. Aber es war von vornherein klar, dass er das nie tun würde, denn dann hätte er darüber reden müssen.
Darüber reden, das war etwas, das er nie konnte.
Michael nahm einen weiteren langen Zug und spähte über meine Schulter zu Tommy hinüber. »Er ist immer pünktlich. Die Kasse ist immer in Ordnung. Er gibt seinen halben Lohn für diese Ninja-Krieger-Maschine und für Pizza aus. Ich
verdiene
praktisch Geld mit ihm.«
Ich nippte an meinem Malzbier und musterte den Aschenbecher. »Ich weiß nicht.«
»Deanna«, bat er flehentlich. »Ich brauche dich. Ich brauche jemand, der sich nicht einfach Bier nimmt oder von meinem Anschluss aus nach Europa telefoniert. Du scheinst mir in Ordnung zu sein.«
»Tatsächlich?«
Wo sonst in Pacifica sollte ich einen Job finden? Wenn ich doch nur ein Auto gehabt hätte oder wenigstens den Führerschein! In der Stadt gab es wahrscheinlich eine Fantastillion Jobs – und keinen Tommy. Aber es war ja nicht so, dass ich alle Zeit der Welt gehabt hätte. Wenn ich Darren und Stacy bis zum Ende des Sommers nicht einen Haufen Bargeld zeigen |72| konnte, dann hatte ich ihnen gar nichts zu bieten. Mich auch noch durchfüttern zu müssen, war das Letzte, was sie brauchen konnten. Sie würden mich nicht nötig haben, sie würden mich nicht haben wollen, sie würden mich nicht mitnehmen, und ich würde dann allein in diesem Haus hocken und zu niemandem gehören.
Ich beobachtete, wie Michael mich beobachtete. Wenn er die meiste Zeit hier war, dann war es vielleicht okay. Er kam mir vor wie einer, dem ich vertrauen konnte. Er nahm noch einen Zug – und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen; etwas an seiner Art, die Asche wegzuschnippen, oder dieser gedämpfte Ton, in dem er mit mir redete wie eine Freundin: Michael war schwul. »Du musst nicht mal nett sein zu Tommy«, sagte er in
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