Zicke
nicht ganz Gutes und nicht ganz Schlechtes kroch mir den Nacken empor.
»Warte noch nach Feierabend«, sagte er selbstsicher, als ob ich nicht Nein sagen würde. »Ich hab was zum Rauchen dabei.«
In einer leeren Pizzeria rumzuhocken und Gras mit ihm zu rauchen hätte eigentlich so ziemlich meiner Vorstellung der Hölle entsprechen müssen. Ich hätte ihn auslachen sollen. Aber worauf ich nicht vorbereitet war, war dies: In Tommys Nähe fühlte ich mich, als wäre ich wieder dreizehn – kindlich und unerfahren, ein bisschen verängstigt und ein bisschen aufgeregt. Besonders hier, in dem engen Kühlraum, der mich zu deutlich daran erinnerte, wie ich ihn kennengelernt hatte.
Er war bei uns gewesen, er hatte mit Darren rumgehangen – ich war im Bad und experimentierte mit einer Handvoll Make-up-Sachen herum, die ich gerade |84| gekauft hatte. Die Tür war nicht ganz zu und Tommy platzte einfach herein. Er lehnte sich gegen den Türrahmen, und ich konnte nicht raus – außer ich hätte ihn weggestoßen, aber das tat ich nicht.
»Wieso schmierst du dir eigentlich diesen Mist ins Gesicht?«, fragte er und deutete auf mein Häufchen von Kajalstiften, Wimperntusche und Lipgloss aus der Drogerie.
Tommy war süß. Größer als irgendeiner der Jungs an meiner Junior High, eindeutig, mit einer Narbe links auf dem Gesicht, die ihm ein toughes, irgendwie gefährliches Aussehen verlieh, das mir cool vorkam. Das Wichtigste aber war die Art, wie er mich anblickte. Als ob mich zum ersten Mal jemand anblickte.
»Damit sehe ich älter aus«, würgte ich mühsam hervor.
Tommy betrachtete mich im Spiegel. »Damit siehst du aus wie eine Schlampe.«
Dass es von ihm kam, gab mir das Gefühl, klein zu sein und doof. Ich hätte mich verziehen sollen, aber in diesem Moment wollte ich nichts mehr, als dass mich jemand weiterhin so ansah, wie er es tat. Ich starrte angestrengt in den Spiegel und fand das Make-up nun doch nicht mehr so gut; nicht schlampenmäßig, wie er gesagt hatte, sondern zu gewollt. Wie ein kleines Kind, das Verkleiden spielte und das ich im Grunde auch war. Also wusch ich mir unter dem prüfenden Blick Tommys das Gesicht ab.
»Du glaubst, Jungs würden da drauf stehen«, sagte er. »Auf dieses ganze Make-up und den Scheiß. Aber |85| weißt du, was wirklich antörnt?« Ich stimmte mich auf Tommy ein, als hätte ich einen neuen Radiosender gefunden, der mir alles sagen würde, was ich je über mich wissen wollte. Er stand hinter mir am Waschbecken und wir sahen uns im Spiegel an. Das Make-up war weg, die Haare um mein Gesicht herum waren feucht. »Wenn ein Mädchen sauber und frisch ist, als ob es gerade aus der Dusche kommt. Ja. Genau so.«
Bei diesen Worten umfasste er mich von hinten, drückte seinen Körper leicht gegen meinen Rücken und legte die Hände vor mir auf das Waschbecken. Er fühlte sich warm an; es war eine Art von Wärme, wie ich sie nie empfunden hatte. Und er sagte, ich, ja ich, hätte etwas, das bei einem anderen Menschen tatsächlich eine Wirkung erzielen konnte.
»Siehst du? Jetzt bist du richtig hübsch«, sagte er mit dieser selbstsicheren, gelassenen Stimme. Ein Bekenntnis. »Einfach so.«
In diesem Moment passierte es: Er sah mich an, und das war es, worauf ich gewartet hatte, ohne es zu wissen. Ich meine nichts Schmalziges, wie dass ich mich verliebt oder auch nur verknallt hätte oder irgendwas in der Art. Es war eher ein Gefühl, als ob ich beim Volleyball als Erste in eine Mannschaft gewählt worden wäre oder eine von diesen doofen schulischen Grußkarten mit Süßigkeiten in meinem Schrank gefunden hätte. Es war das Wissen, dass jemand anderer an mich dachte, wenn ich nicht da war.
Wir starrten uns im Spiegel an und etwas knisterte zwischen uns.
|86| Dann hörten wir Darren den Flur entlangkommen. Ich packte mein Make-up zusammen, zwängte mich an Tommy vorbei aus dem Bad und ging in mein Zimmer. Ich weiß noch, dass ich danach noch lange auf meinem Bett lag und darüber nachdachte, was Tommy gesagt hatte, und wie er es gesagt hatte; mir in Erinnerung rief, wie sich seine harten Armmuskeln angefühlt hatten, als er sich über das Waschbecken beugte – immer und immer und immer wieder, bis ich mit diesem warmen, unruhigen, schmerzhaften Gefühl einschlief.
Und so fühlte ich mich erneut, dort im Kühlraum, wo Tommy mir auf die Pelle gerückt war, trotz allem, was passiert war, trotz allem, was ich über ihn wusste.
»Komm schon, Dee Dee«, sagte er mit leiser Stimme. »Das
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