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Zicke

Zicke

Titel: Zicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Zarr
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glaubt wirklich an diese Geschichten. Nur redet sie nicht andauernd darüber.
    Manchmal wünschte ich mir, wir
würden
darüber |63| reden, denn neugierig bin ich schon. Was sagt sie beispielsweise, wenn sie betet, und ist sie manchmal sauer auf Gott? Aber es wäre mir peinlich, danach zu fragen. Es kommt mir zu persönlich vor.
    Als sie meinen Dad entlassen hatten und Darren Ärger bekam, meinte Mom, vielleicht müssten wir in die Kirche gehen und unseren Frieden mit Gott machen. Aber aus irgendwelchen Gründen wollte sie keinen Fuß in eine katholische Kirche setzen, also gingen wir an diesem einen Sonntag in die presbyterianische auf der anderen Seite der Stadt und hockten uns weit nach hinten. Zuerst war es beeindruckend: die Orgelmusik, das Morgenlicht durch das Buntglasfenster und die alten Holzbänke mit ihren wabbligen, roten Samtkissen. Dann erhob sich vorn ein Typ im Anzug, kündigte irgendwas an, hieß alle willkommen und fragte, ob jemand zum ersten Mal hier sei. Mom und Dad starrten zu Boden. Da wusste ich schon, wir würden nicht aufstehen, aber eine alte Dame hinter uns hob die Hand und deutete auf uns. Dad ließ uns alle aufstehen und sagte: »Wir sind nur zu Besuch hier. Aus der Stadt.« Doch ein paar Reihen vor uns war ein Mädchen aus einem meiner Kurse; es sah mich komisch an und flüsterte seiner Mom etwas zu. Und ich wusste: hier würden wir nie wieder herkommen. Wir waren nur zehn Minuten in dieser Kirche gewesen und hatten jetzt schon vor zweihundert Leuten gelogen – von Gott ganz zu schweigen.
    Als der Gottesdienst zu Ende war, bugsierte uns Mom hastig zur Seitentür hinaus, ehe uns jemand ansprechen |64| konnte. Im Wagen stieß Darren mich an und zeigte mir seine offene Jackentasche. Er hatte es geschafft, sie auf dem Weg nach draußen mit Keksen vollzustopfen. Deswegen habe ich von der Kirche eigentlich nur noch in Erinnerung, dass wir logen und stahlen und nie wieder hingingen. Wir gehörten ohnehin nicht in die Kirche. Das war in Ordnung für Leute wie Lee; Leute, die gut waren, hingehen und daran glauben und beten konnten, und die sich nicht fragen mussten, ob jemand zuhörte.
    Wie auch immer, wir hatten zwar keine Kirche, aber wenigstens hatten wir Arme Ritter.
    Ich folgte Mom in die Küche. Darren saß mit April im Arm am Tisch und gab ihr die Flasche. Sie strampelte ein wenig mit den Beinchen, als sie mich sah – wovon ich immer lächeln musste –, dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Trinken zu.
    »Wo ist Stacy?«, fragte ich.
    »Schläft.«
    Dad erschien in der Tür, in einem olivgrünen T-Shirt, das er sich in die Jeans gesteckt hatte. Sein Duschgel war quer durchs Zimmer zu riechen. Er sah jung und hübsch aus, wie Darrens älterer Bruder, nicht wie sein Vater.
    Das überraschte mich, und für den Moment war es, als ob ich wieder sieben oder acht wäre, er mich wie immer stürmisch umarmte und mir seinen Lieblingswitz erzählte:
Hey , Kleine , wie geht’s ? Hast du schon den von den beiden Schnecken gehört, die über die Straße gehen wollen?
    |65| Da lachte ich bereits.
Bloß zehntausend Mal, Dad .
    Die eine Schnecke wird von einer Schildkröte überfahren, und als die Polizei die andere Schnecke fragt, was sie gesehen hat, da sagt sie …
    Ich erzählte den Witz dann zu Ende:
Ich weiß nicht, Herr Wachtmeister, es ist alles so schnell passiert.
    Wie er da in der Küchentür stand, konnte man leicht glauben, dass er wieder so sein würde wie dieser Dad: rosa Popcorn und Eukalyptus.
    Als er merkte, dass ich ihn ansah, wandte er den Blick ab. »Es ist schon nach zehn. Stacy sollte auf den Beinen sein.«
    »Sie war um fünf mit der Kleinen wach, Dad«, sagte Darren. »Sie darf sich ruhig ausschlafen.«
    Dad nahm sich seinen
National-Paper -Becher
vom Regal, goss Kaffee ein und lehnte sich gegen den Küchentresen. »Wie bitte, sie möchte eine Belohnung dafür, dass sie eine anständige Mutter ist? Man muss einfach wissen, dass man mit dem Baby aufsteht, wenn man beschließt, schwanger zu werden.« Als ob Stacy sich einfach so entschieden hätte:
Ach , weißt du, ich glaub, ich werd heut mal schwanger. Das wär doch witzig, und das Sahnehäubchen obendrauf wär, dass es Darrens Dad so richtig ankotzen würde.
    »Okay«, versuchte Mom abzulenken. »Wer möchte Schinken zu seinen Armen Rittern?«
    »Ich«, antwortete ich.
    »Ich auch«, meinte Darren.
    Mom wandte sich zu Dad und hielt die Schinkenpackung hoch. »Ray?«
    |66| »Ich hoffe, du legst dich nicht auch noch

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