Zicke
sie sanft auf und ab hüpfen. Als er zur Küchentür ging, platzte es aus mir heraus: »Wo willst du hin?«
»Nur in den Flur«, sagte er irritiert. »Wenn das erlaubt ist.«
Ich wandte mich um und ließ das heiße Wasser laufen, um die Flasche zu sterilisieren. Dad sprach im Flur mit April – nicht in einer Babysprache, sondern mit seiner normalen Stimme. »Deanna macht dir gerade ein Fläschchen, okay? Sie ist gleich so weit.« Ich drehte den Kopf in die Richtung, aus der mein Name kam, und auch April hörte ihm offenbar zu. Er hatte meinen Namen seit Ewigkeiten nicht mehr ausgesprochen. Zumindest hatte ich ihn nicht gehört. Für ihn war ich lange Zeit nur ›du‹ und ›sie‹ gewesen. Er erzählte April nun etwas anderes; dass Darren bald nach Hause käme und Moms Auto eine neue Windschutzscheibe bräuchte. Nach einer Minute hatte April aufgehört zu schreien, sie schluchzte und wimmerte nur noch leise, und als ich ihre Flasche fertig hatte, weinte sie überhaupt nicht mehr.
Dad stand in der Tür. »Das habe ich mit dir auch immer gemacht«, sagte er. »Ich bin den Flur auf und |134| ab gegangen und habe dir von meinem Tag erzählt und von allerlei, war mir eben gerade so einfiel.«
Es war genau in diesem Moment, dass ich dachte: Vielleicht könnten wir doch was ändern. Die letzten drei Jahre waren vielleicht nur eine schlechte Erinnerung. Ich könnte sagen: ›Dad, lass es uns einfach versuchen‹, und er würde April in seinen Armen anschauen und schweigend nicken. Alles könnte anders sein, oder nicht?
Der Augenblick verstrich; Darren kam herein und fragte: »Was ist los?« Er betrachtete April, die den Kopf auf Dads Schulter gelegt hatte und mit ihrer kleinen Hand seinen Hemdkragen festhielt.
»Ich gebe ihr gleich ein Fläschchen«, antwortete ich, darauf konzentriert, das Geschirrtuch richtig zu falten. »Sie wollte nicht mehr aufhören zu weinen, nachdem du gegangen warst.«
»Ich glaube, es ist Zeit, dass sie ein Nickerchen macht«, sagte Dad. Er übergab April an Darren und ging hinaus, den Rücken steif und aufrecht. Wir sahen ihm nach, wortlos, dann warf ich das Geschirrtuch auf den Tresen und stellte die Flasche in den Kühlschrank. Wie kam es, dass er urplötzlich so zu April war? So nett, so …
väterlich
. Vielleicht bedeutete das, er könnte auch zu mir so sein, wenn er es nur versuchte, wenn er es nur wollte?! Mein Eindruck: Er wollte es gar nicht.
»Was war das denn jetzt?«, fragte Darren verdutzt.
Ich zuckte die Achseln. »Er hat sie in die Arme genommen, sie hat aufgehört zu schreien. Big Deal.«
|135| Er lehnte sich an den Tresen, April an der Brust. Er sah müde aus, hatte große Ringe unter den Augen, sein Mund war verkniffen. »Weißt du noch, letzten Sommer? Als wir die ganze Zeit nur rumgekurvt sind und nach Partys gesucht haben?«
Wenn er damals von der Arbeit nach Hause gekommen war, holten wir gemeinsam Stacy ab, manchmal auch Jason, und holten uns etwas Billiges zu essen. Wenn wir Geld hatten, gingen wir ins Kino. Ansonsten fuhren wir im Tal rum oder düsten in die Stadt und suchten eine Party – oder wenigstens irgendwas, wo wir ein paar Stunden rumlaufen konnten. Nach der Geschichte mit Tommy hatte Darren mich immer gern in seiner Nähe, damit er ein Auge darauf haben konnte, wo ich war. Das war gewesen, ehe Stacy feststellte, dass sie schwanger war, und bevor ich Lee kennenlernte. Um ehrlich zu sein, ich konnte mich eigentlich an keine dieser Partys erinnern oder an irgendwas Besonderes, das ich wirklich als eine gute Zeit bezeichnen würde.
»Ja«, sagte ich. »Aber eigentlich wollten wir einfach nur von zu Hause weg. Ich meine, hat es uns wirklich Spaß gemacht?«
»Ich weiß nicht.« Darren streichelte den Flaum auf Aprils Kopf und gähnte. »Aber ich hätte jetzt gern noch mal die Gelegenheit dazu.«
Wir schwiegen und starrten auf den Küchenboden, auf das hässliche gelbe Linoleum, das dort lag, seit Mom und Dad das Haus gekauft hatten, und das sich fürchterlich mit den rosa Wänden biss.
|136| »Wo, glaubst du, steckt sie?«, fragte ich. »Wo hätte sie ohne den Wagen hin können?«
»Sie kann sonst wo sein. Sie kann bei irgendjemandem in Pacifica sein. Vielleicht ist sie getrampt, vielleicht hat sie einen Typen getroffen, ich weiß nicht.« Er klang jetzt wütend, nicht mehr ängstlich.
»Einen
Typen
getroffen?«, fragte ich zweifelnd. »Wann denn? Zwischen Windelwechseln und Wäsche und Arbeit?«
»Ich weiß, ich weiß. Wahrscheinlich hat sie
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