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Zicke

Zicke

Titel: Zicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Zarr
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nicht weitersprechen lassen. Ich war mir sicher, was als Nächstes käme – oder bald, oder irgendwann. »Du brauchst jemanden, der dir mit April hilft.« Meine Stimme zitterte.
    »Eigentlich nicht.«
    |140| Es gibt dieses Bild von Darren und Stacy, einen Schnappschuss, den ich einige Tage vor Aprils Geburt gemacht habe. Es stand auf ihrem Nachttisch in einem violetten Plastikrahmen, den ich für sie besorgt hatte. Ich betrachtete das Bild aufmerksam und startete einen weiteren Versuch. »Glaubst du, du kannst zwei Stunden lang durch die Nacht fahren, mit April, die aus Leibeskräften schreit, nachdem du praktisch vierundzwanzig Stunden nicht geschlafen hast?«
    »Nun überdramatisiere das mal nicht«, sagte er. »Ich kümmere mich dauernd um April. Außerdem mag sie Autofahren.«
    Ich konnte meinen Blick nicht von dem Bild abwenden: Stacy in Darrens Schoß, den Arm um seinen Hals geschlungen, Darrens Hand auf ihrem dicken Bauch. Jeder konnte es sehen. Sie waren schon eine Familie. Darren und Stacy und April. Sie brauchten mich nicht, um vollständig zu sein. Sie: eine Familie. Ich: immer der zusätzliche, überflüssige Nobody, zu dem sich niemand bekannte.
    Vielleicht wusste ich es schon die gesamte Zeit. Vielleicht hatte ich deshalb nie mit ihnen darüber gesprochen – über meinen Plan, dass wir alle zusammenziehen sollten.
    »Schön«, sagte ich tonlos. »Dann geh ohne mich.«
    »Nun komm, Deanna. Sei nicht so.«
    »Du packst ja nicht mal die richtigen Sachen für April ein. Sie braucht praktisch doppelt so viele Windeln wie die hier.«
    Er hörte auf zu packen und kam auf mich zu.
    |141| »Deanna …« Seine Stimme war die des großen Bruders à la: ›Okay, ich muss nett zu meiner Schwester sein, sonst fängt sie an zu heulen und dann sitz ich hier fest und muss mich um sie kümmern.‹
    »Nicht!«, sagte ich und wich zurück. Das Zimmer um mich herum verschwamm. »Vergiss es, schon okay. Ist mir egal.«
    »Ist es dir nicht. Hör mal, du weißt, dass wir ausziehen, sobald wir können. Du und ich, wir können nicht alles zusammen machen.« Ich wünschte, er würde aufhören zu reden; ich wünschte, ich wäre nie in den Keller gekommen. »Das hier«, sagte er bestimmt, »das ist etwas, das ich ganz eindeutig allein machen muss.«
    »Ich weiß.« Ich marschierte durchs Zimmer und fing an, Wäsche von dem Haufen auf dem Bett zu falten, der nicht kleiner werden wollte. Ich konnte nicht weinen. Ich wollte nicht weinen.
    »Ich meine, wir könnten uns doch daran gewöhnen, oder?«
    Ich versuchte wirklich, nun nichts mehr zu sagen, aber ich stand inzwischen irgendwo außerhalb von mir selbst, sah mir zu, blickte auf mich herab, wie ich mich vor ihm in ein großes Baby verwandelte, während ich die ganze Zeit versuchte, mir selbst den Mund zu verbieten. Doch es funktionierte nicht. »Warum nicht?«, fragte ich verzweifelt und wandte mich ihm zu.
    »Warum nicht was?«
    »Warum sollte ich nicht mit euch zusammenleben können?«
    |142| ›Das war’s‹, dachte ich. ›Ich hab’s gesagt.‹ Ich brauchte endlich nicht mehr so tun, als wäre mir das alles gleichgültig.
    Er rieb sich das Gesicht. »Scheiße, Deanna, hör auf damit jetzt, okay?«
    »Ich könnte nachmittags auf April aufpassen«, flehte ich. »Und das Haus putzen, euch bei der Miete unterstützen und alles.«
    Da lachte er. Er lachte tatsächlich und schüttelte den Kopf.
    »Das ist kein Witz!«
    April wimmerte.
    Darren hörte auf zu lachen. »Ich weiß. Aber hast du denn nicht zugehört? Stacy und ich, wir müssen mit unserem Scheiß allein klarkommen, und zwar
sofort
. Sieh uns doch mal an! Wir haben das Kind, und vielleicht war das nicht das Gescheiteste, was wir je gemacht haben, aber es ist nun mal da. Wir leben im Keller bei unseren total verkorksten Eltern.« Er packte weiter seine Sachen zusammen. »Das ist kein guter Anfang, Deanna, das wollte ich sagen.«
    »Aber ihr kommt doch klar!« Meine Stimme verschwamm in den Tränen, die ich nicht hatte weinen wollen. »Ich könnte
helfen
. Wirklich. Ich könnte helfen.«
    »Wir und klarkommen? Stacy ist verschwunden! Fällt dir nichts auf?«
    »Schrei mich nicht an!«
    »Tu ich …« Er senkte die Stimme. »Tu ich nicht. Deanna. Stacy und ich, wir müssen mehr als nur klarkommen. |143| Mom und Dad? Die kommen klar. April verdient was Besseres.« Er zog den Reißverschluss der Tasche zu und schlüpfte in seine Jacke. »Und ich auch.«
    »Und
ich
verdiene es, hier zu bleiben und weiter Scheiße zu

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