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Zicke

Zicke

Titel: Zicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Zarr
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gefühlt haben – das war jetzt wie weggeblasen und ich war kurz davor, die Nerven zu verlieren. Was, wenn Stacy nicht mehr zurückkam? Ich konnte mir noch nicht einmal vorstellen, dass Darren und ich April ein paar Tage lang komplett allein versorgten, geschweige denn für den Rest unseres Lebens.
    Dad hob das Fläschchen auf und stellte es auf den Tresen. Ich dachte schon, er würde mir einen Vortrag darüber halten, dass ich vor April nicht fluchen sollte, oder dass nun, da Stacy uns verlassen hatte, die Dinge nun mal so seien und dass ich mich besser damit abfände. Stattdessen breitete er die Arme aus. »Komm. Ich nehm sie für ’ne Weile, während du das Fläschchen machst.«
    April, die immer noch weinte, wandte beim Klang seiner Stimme den Kopf. Soviel ich wusste, hatte er sie nur einmal gehalten, gleich nachdem sie aus dem Krankenhaus gekommen war. Normalerweise verließ er augenblicklich das Zimmer, wenn sie schrie. »Schon okay«, meinte ich. »Ich schaffe das schon.«
    »Da bin ich mir sicher. Aber ich weiß, wie man ein Baby hält. Ich hatte selbst zwei.« Aprils Geschrei hatte bereits diese beklemmende Stufe mit rotem |131| Kopf und schielendem Blick erreicht, während ich die Flasche sterilisieren und von vorn anfangen musste. Deshalb gab ich sie Dad.
    Um sie mir abzunehmen, musste er mir so nah wie lange nicht mehr kommen. Ich spürte seine Wärme und roch das Aftershave, das er benutzte, seit ich klein war; dieses billiges Zeug eben, das man bei
Safeway
bekommt. Mich überkam ein heftiges Gefühl: Ich vermisste ihn – wie jemanden, den ich geliebt hatte und der gestorben und fortgegangen, der überwiegend eine Erinnerung war. Ich wollte ihn berühren und sagen: ›Okay, es tut mir leid wegen Tommy, es war einfach ein dummer Fehler. Ich weiß, dass ich dich verletzt habe, und ich wünschte, das hätte ich nicht getan.‹ Weil ich ihn liebte. Ja. So war es.
    Aber dann fiel mir diese Nacht wieder ein: wie er mich angesehen hatte, als ob er mich nicht kennen würde, wie ich im Wagen geweint hatte, bis wir zu Hause angekommen waren, und wie ich damals schon
gesagt
hatte, dass es mir leidtat, immer und immer wieder. Danach hatte ich es ungefähr noch fünfzigmal an den darauffolgenden Tagen gesagt, und er hatte immer nur den Kopf geschüttelt und das Zimmer verlassen.
    Und ich hatte auch gesagt, dass es mir leid tat, als er den Job in dem Autoteileladen bekommen und mitangehört hatte, wie sein zwanzigjähriger Chef einer sechzehnjährigen Angestellten eine der Versionen meiner selbst erzählt hatte – eine hübsche Variante der Nympho-Version:
Übrigens , das ist der Vater von |132| Deanna Lambert, du weißt schon, der hat sich mit Tommy Webber angelegt, weil er sie entdeckt hat. Er und Deanna, diese Schlampe von einer Achtklässlerin, die trieben es gerade miteinander, und sie war scharf drauf, echt, und da tauchte ihr Dad auf. Genau der ist es, er arbeitet im Ersatzteillager.
    Er, mein Vater, hatte vor Mom und mir die ganze Geschichte lautstark in der Küche wiederholt, und ich hatte
schon wieder
gesagt, dass es mir leidtäte, und hatte noch mal versucht, ihm klarzumachen, dass es nicht so gewesen war, dass ich nicht so gewesen war, DASS ES NICHT SO GEWESEN WAR, überhaupt nicht! Aber weshalb musste ich mich verteidigen, weshalb meinen eigenen Vater, der mich doch schon ewig kannte, davon überzeugen, dass ich nicht so war? Und wäre nicht jeder Vater,
jeder
Vater, zu diesen Leuten im Laden hingegangen, zu diesen Leuten, die halb so alt waren wie er, und hätte sich zu mir bekannt:
Hey , das ist meine Tochter, über die ihr da redet.
Meine
Tochter
! Und wäre heimgekommen und hätte es mit keiner Silbe erwähnt, mich nicht von Neuem gedemütigt.
    Das war mir an jenem Tag klargeworden, während er mich angeschrien hatte. Sosehr ich ihn enttäuscht hatte, so sehr hatte auch er mich enttäuscht, und er war es eigentlich, der es besser wissen musste. Er war der Vater. Er war
mein
Vater. Das war der Punkt, an dem ich mich dazu zwingen musste, ihn nicht mehr zu lieben. Ich durfte mich nicht mehr daran erinnern, wie er früher war, wie wir früher waren, denn wenn |133| ich jedes Mal, wenn ich ihn sah, an den alten Dad dachte, würde es nie aufhören zu schmerzen.
    Und deshalb konnte ich ihn jetzt nicht berühren und es noch einmal mit einem ›Es tut mit leid‹ versuchen. Ich hatte einfach nicht mehr die Kraft, ein weiteres Mal abgewiesen zu werden.
    Dad hielt April, tätschelte ihr den Rücken und ließ

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