Zicke
die Musikbox auf und hämmerte seine übliche Serie von schrottigen 80er-Rock-Titeln rein. Ich reinigte die Schneidbretter, während Tommy die Klos putzte, wobei er ab und zu eine Pause machte und mit dem Schrubber Luftgitarre spielte. »Hey Dee Dee!«, rief er aus dem Damenklo. »Gib mir doch mal die Telefonnummer deiner Freundin.«
»Hör auf, mich so zu nennen! Ich meine es ernst.« Ich tauchte die Hände in den Wascheimer und das heiße Wasser brannte durch meine grünen Gummihandschuhe. »Und wenn du Lee meinst – die ist schon vergeben.«
Er stand mit dem Schrubber in den Händen in der Klotür und seine Mundwinkel kräuselten sich zu einem Lächeln, das mich anwiderte und zugleich mein Herz rasen ließ. »Eifersüchtig, was? Möchtest die Nummer nicht rausrücken, hm?!«
Ich ließ ihn wortlos stehen und ging nach hinten, um den Eimer zu leeren. Er kam mir hinterher. »Könntest du nicht mal
nett
zu mir sein?«, fragte ich, während ich die Edelstahlspüle ausschwenkte. »Früher warst du manchmal so
nett
.« Das stimmte. Es hatte Zeiten gegeben, da hatte er mir zugehört, wenn ich von der Schule erzählte, gelegentlich eingeworfen, dass dieser oder jener Lehrer ein Arsch sei, gelacht, wenn ich ihm von |150| irgendeinem komischen Vorfall berichtete. Dieser Aspekt unserer Geschichte hatte mir immer gefallen: wie er mir unprätentiös zugehört hatte – anders als ein großer Bruder oder Eltern und auch anders als ein besitzergreifender Freund, der von jedem Typen erfahren will, der in der Schule mit dir redet. Ich war einfach noch einmal den Tag mit ihm durchgegangen, während er am Steuer gesessen hatte, und er hatte mir zugehört.
In solchen Augenblicken war er mein Freund gewesen. Ich hatte die Wörter ›Freund‹ und ›Tommy‹ lange Zeit nicht zusammen gedacht, vielleicht sogar noch nie. Die Art, wie er mich jetzt behandelte, ließ erneut eine Welle von Schmerz anbranden.
Er stand auf seinen Schrubber gestützt neben mir an der Spüle. »Ich bin doch nett. Ich kann nett sein. Zum Beispiel weiß ich, dass du und deine Freundin gestern Abend gestritten habt, stimmt’s? Sag mir, was passiert ist. Ich höre zu. Nett.«
Ich schüttelte den Kopf. »Geht dich nichts an.«
»Okay, schön«, sagte er, wrang den Schrubber aus und hängte ihn an die Wand zu Besen, Kehrschaufel und den anderen Putzsachen. »Wie wär’s dann damit: Ich fahre dich nach Hause. So nett bin ich nun mal.«
»Ich gehe lieber zu Fuß.«
Er lachte. »Siehst du, du
willst
nicht, dass ich nett bin.« Er knöpfte seine Schürze auf. »Ich bin einfach der böse alte Tommy, derjenige, der dein Leben ruiniert hat, stimmt’s? Wie du es eben brauchst.«
Wir waren mit dem Putzen fertig, trugen den Müll |151| raus und schlossen die Tür ab. Tommy zündete sich eine Zigarette an; die Flamme des Feuerzeugs erhellte sein Gesicht. Ein Schatten huschte über die Narbe auf seiner linken Wange.
Ich dachte daran, wie ich in unserer ersten gemeinsamen Nacht diese Narbe berührt hatte. Wenigstens hatte ich damals zu jemandem gehört. Tommy hatte mich gewählt, und was auch immer in Wirklichkeit der Grund dafür gewesen sein mochte – wir beide waren
etwas
, etwas, das wir ohneeinander nicht waren.
Es war kalt draußen und nebelig und niemand würde kommen, um mich abzuholen. Darren hatte seine Wahl getroffen, ich war außen vor geblieben. Jason hatte Lee. Mom und Dad … nun, allein schon der Gedanke an meine Eltern kam mir vor wie ein uralter Hut.
Tommy machte mir keine Angst; ich wusste, wie er war. »Ja, okay. Ich nehme die Fahrt nach Hause.«
Er sah mich von der Seite an, als ob er sich vergewissern wollte, dass ich es ernst meinte. Dann bibberte er ein wenig im Nebel und schien ausnahmsweise mal keine neunmalkluge Bemerkung parat zu haben. »Komm mit.«
Wir gingen zu seinem Wagen. Er öffnete mir die Beifahrertür. Ich ließ mich auf die Sitzbank gleiten, und als er die Tür mit einem ›Klonk‹ hinter mir schloss, wusste ich, was als Nächstes passieren würde.
Er stieg ein, ließ den Motor an, setzte zurück, fuhr langsam zur Ausfahrt des Parkplatzes und hielt an. Rechts abbiegen würde uns zu mir nach Hause bringen, |152| wo meine Eltern wahrscheinlich schliefen, Darren und April nicht da waren und ich allein in meinem Zimmer in der Dunkelheit wachliegen und mich fragen würde, was aus mir werden sollte. Links abbiegen würde uns auf den Highway eins bringen, zum Parkplatz am alten Chart House, ein warmes Auto in einer kalten
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