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Zicke

Zicke

Titel: Zicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Zarr
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Nacht – ich wusste genau, womit ich zu rechnen hatte.
    Tommy setzte den Blinker links. Ich sagte nichts.
    Ich würde nie einen Typen wie Jason für mich finden. Ich wusste es. Ich würde nie diese Art Mensch sein, der seine Eltern stolz macht und da ist, wenn seine Freunde ihn wirklich brauchen. Ich würde nie zu Darrens und Stacys Familie gehören, jedenfalls nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte.
    Tommy bog nach links ab und fuhr hinaus auf den Highway.
    Ich kurbelte mein Fenster ein wenig herunter. Der Nebel war so dicht, dass ich nicht einmal die Straße vor mir erkennen konnte, geschweige denn das Dunkel des Ozeans. Aber ich konnte ihn riechen, sein nasses Salz, während Tommy langsam dahinfuhr und die Nebelwand das Licht der Scheinwerfer zurückwarf.
    Er fuhr auf den Parkplatz und als er die Scheinwerfer löschte, war da wieder der von Eiskraut bewachsene Steilhang, wie er immer da gewesen war, auch in jener Nacht, als mein Dad uns gefolgt war.
    »Magst dir einen reinziehen?«, fragte Tommy und stöberte in seiner Tasche nach einem Joint.
    »Nein, danke.« Jenseits des Steilhangs war nur |153| Nebel, und darunter der Strand, und dann der Ozean und dann nichts mehr außer dem Horizont, ich wusste es. »Aber eine Zigarette nehme ich schon.«
    Darren würde mich umbringen, wenn er das erfuhr, wo er mir doch so geholfen hatte, aufzuhören, aber es gehörte nun mal alles zu dem Ritual, das Tommy und ich hatten. Es war mir ebenso in Herz und Nieren übergegangen wie das Wissen darum, dass das Meer da war, obwohl ich es nicht sehen konnte. Er reichte mir eine Kippe und sein Feuerzeug. Ich steckte mir die Zigarette zwischen die Lippen, knipste das Feuerzeug ein paar Mal, bis es anging, und nahm dann einen tiefen Zug – wie früher. Ich musste husten; Tommy lachte. Als ich wieder sprechen konnte, würgte ich »Mist!« heraus, nahm nur noch einen kleinen Zug und machte dann die Zigarette aus.
    Tommy steckte das Feuerzeug in seine Tasche zurück und drehte einige Sekunden lang am Autoradio herum – weiteres Ritual –, bis er es schließlich abschaltete. »Ich will nicht, dass die Batterie leer wird.«
    »Klar.«
    Als Nächstes hätte er zu mir herübergreifen und meine Schulter tätscheln sollen, während ich redete und meine Zigarette zu Ende rauchte, aber da ich sie schon ausgemacht hatte, waren wir vom Drehbuch abgekommen. Ich hätte ihm sagen können, dass ich nach Hause wollte, und er hätte mich heimgefahren. Auf dem Parkplatz stand noch ein Wagen, drüben in der südlichen Ecke. Ich fragte mich, ob die Leute dort drin wie ich und Tommy waren oder eher wie Jason |154| und Lee. Aber vielleicht saß ja nur ein Mensch drin, allein, noch so jemand, der nicht nach Hause fahren wollte.
    Tommy trommelte mit den Händen auf das Steuer.
    »Alsooo …« Er versuchte, mich auf seine übermütige Art anzulächeln, aber es wirkte ängstlich. Ich rutschte auf der Sitzbank zu ihm hinüber, und er küsste mich. Überraschenderweise war es wie ein erster Kuss, schüchtern und kurz, und nicht gerade ein Kuss, den ich von jemandem erwartet hätte, mit dem ich schon Hundert Mal geknutscht hatte.
    Wir küssten uns ein wenig intensiver und es dauerte nicht lange, bis die Scheu von uns abfiel. Schon bald waren wir wieder da, wo wir vor all den Jahren aufgehört hatten, und ich ließ seine Hände wandern, wohin sie wollten. Ich weiß nicht mehr, wie es sich anfühlte. Ich wollte, dass es sich gut anfühlt. Ich wollte, dass es sich nach etwas anfühlt. Ich wollte mich erinnern, wie es mit dreizehn gewesen war, herausfinden, warum ich mit Tommy einverstanden gewesen war, mit all dem, was er gesagt und getan hatte. War es nur deshalb, weil es nun einmal zufällig Tommy war, der damals vorbeigekommen war? Hätte es irgendwer sein können? Oder war da etwas an ihm, an Tommy Webber, das ich mochte und das mir wichtig war? Hier im Buick inmitten des Nebels versuchte ich mit meinem dreizehn Jahre alten Ich Verbindung aufzunehmen, mir in Erinnerung zu rufen, wie dieses Mädchen sich gefühlt hatte, was es gewollt hatte.
    Wir knutschten weiter und Tommy zog mir mein |155|
Picasso
-T-Shirt aus. Wir rochen beide nach Pizza. Er langte seitlich an der Sitzbank hinab und ließ sie zurückgleiten. Dann war es das alte Ding – der sanfte, aber beharrliche Druck auf meiner Schulter mit der einen Hand, während die andere sachte an meinen Haaren zog.
    Als er das zum ersten Mal gemacht hatte, war ich verwirrt gewesen, nicht sicher, was er wollte.

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