Ziel erfasst
Milliardär.
Der andere Mann war tatsächlich allein gekommen. Vor Jahren wäre Oleg Kowalenko jedoch ebenfalls ohne Sicherheitsleute nirgendwo hingegangen. Immerhin war er in den Sechziger-und Siebzigerjahren für den KGB in verschiedenen Satellitenstaaten als Führungsoffizier tätig gewesen. Er war zwar nicht in die KGB-Spitze aufgestiegen, jedoch immerhin als Resident in Pension gegangen, was etwa einem »Stationsleiter« bei der CIA entsprach. Allerdings war er nur Resident in Dänemark gewesen.
Nach seiner Pensionierung war Kowalenko nach Russland zurückgekehrt, um in Moskau ein ruhiges Leben zu führen. Seitdem war er kaum noch ins Ausland gereist. Gestern hatte er jedoch einen dringenden Telefonanruf erhalten, aufgrund dessen er sofort ein Flugzeug nach London nahm. Jetzt saß er hier auf einer Chaiselongue und hatte die Füße hochgelegt. Sein dicker, weicher Körper war immer noch müde von der Reise. Trotzdem schlürfte er mit großem Genuss seinen ersten ausgezeichneten Champagner-Orangensaft-Cocktail, dem hoffentlich noch viele weitere folgen würden.
Laska beobachtete derweil die morgendlichen Berufspendler, die auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz in Knightsbridge waren. Er wartete darauf, dass der alte Russe das Eis brach.
Das dauerte nicht sehr lange. Kowalenko hatte Schweigen noch nie gemocht.
»Schön, Sie einmal wiederzusehen, Pavel Iwanowitsch«, sagte Kowalenko.
Laskas einzige Antwort war ein stilles, sarkastisches Grinsen. Er blickte weiterhin auf den Park und nicht auf den dicken Mann zu seiner Rechten.
»Ich war überrascht, dass Sie mich auf diese Weise treffen wollten«, fuhr der schwergewichtige Russe fort. »Wir sind hier zwar nicht in der Öffentlichkeit, aber wir könnten doch beobachtet werden.«
Jetzt wandte sich Laska dem Mann auf der Chaiselongue zu. »Ich stehe vielleicht unter Beobachtung, Oleg, aber niemand beobachtet Sie. Niemand interessiert sich für einen alten russischen Rentner, selbst wenn er früher über eine gewisse Macht verfügte. Ihr Größenwahn ist tatsächlich ziemlich kindisch.«
Kowalenko lächelte und schlürfte seinen Morgen-Drink. Wenn ihn diese Bemerkung beleidigt haben sollte, ließ er es sich wenigstens nicht anmerken.
»Also, wie kann ich Ihnen helfen? Geht es um unsere gemeinsamen guten alten Tage? Verspüren Sie das Bedürfnis, irgendetwas aus unserer Vergangenheit zu bereinigen?«
Laska zuckte mit den Achseln. »Ich habe die Vergangenheit hinter mir gelassen. Wenn Sie das selbst noch nicht getan haben, sind Sie ein alter Narr.«
»Ha. Für uns Russen war das anders. Die Vergangenheit hat uns von sich geschubst. Wir wären gerne dort geblieben.« Er zuckte die Schultern, trank seinen Cocktail aus und begann sofort, sich nach einem neuen umzusehen. »Tempus fugit, wie man so sagt.«
»Ich möchte, dass Sie mir einen Gefallen tun«, sagte Laska.
Kowalenko hörte auf, nach einem Drink zu suchen. Stattdessen starrte er den tschechischen Milliardär an, wuchtete sich aus seiner Chaiselongue empor und stemmte die Hände in seine breiten Hüften. »Was könnte ich haben, das Sie benötigen, Pavel?«
»Ich heiße Paul, nicht Pavel. Seit vierzig Jahren bin ich kein Pavel mehr.«
»Vierzig Jahre. Ja. Sie haben sich vor langer Zeit von uns abgewandt.«
»Ich habe mich nie von Ihnen abgewandt, Oleg. Ich war überhaupt nie auf Ihrer Seite. Ich war nie ein Anhänger Ihrer Ideologie.«
Kowalenko lächelte. Er verstand vollkommen, aber er bedrängte den anderen weiter. »Warum haben Sie uns dann so bereitwillig geholfen?«
»Ich wollte unbedingt weg von dort. Das ist alles. Sie wissen das.«
»Sie haben sich von uns abgewandt, wie Sie sich von Ihrem eigenen Volk abgewandt haben. Einige würden sogar behaupten, dass Sie gerade eine weitere Wendung vollziehen und sich vom Kapitalismus abwenden, der Sie im Westen groß gemacht hat. Jetzt unterstützen Sie alles, was nicht kapitalistisch ist. Für einen alten Mann sind Sie ganz schön beweglich. Das waren Sie ja auch schon in jungen Jahren.«
Laska dachte an seine Jugend in Prag zurück. Er dachte an seine Freunde in der Protestbewegung und seine anfängliche Unterstützung für Alexander Dub č ek. Und er dachte an seine Freundin Ilonka und ihre Pläne, nach dem Sieg der Reformer zu heiraten.
Dann erinnerte er sich jedoch an seine Verhaftung durch die Geheimpolizei und den Besuch eines bulligen, starken und dominanten KGB-Offiziers in seiner Zelle. An die Prügel, die Androhung langer Haftstrafen und
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