Ziel erfasst
Nachdem die letzte Debatte vorbei war, hatte er sich den ersten Teil dieses frischen herbstlichen Sonntags freigenommen. Jetzt musste er jedoch zurück in die Stadt und wieder an die Arbeit. Als Kealtys Wahlkampfmanager konnte er sich erst nach dem 6. November etwas Urlaub gönnen.
Auf dem Weg zu seinem Lexus-SUV überlegte er, dass er nach dem 6. November wahrscheinlich sogar mehr Freizeit haben würde, als ihm lieb war, und dies nicht nur, weil die Wahl dann vorbei war, sondern vor allem weil sein Mann verlieren würde. Das bedeutete, dass seine Karrierechancen in Washington gleich null sein würden. Aber auch seine Berufsmöglichkeiten in der Privatwirtschaft würden darunter leiden, dass er es nicht geschafft hatte, seinem Boss den Platz im Oval Office zu sichern.
Kein anständiger Wahlkampfmanager wirft jedoch nur drei Wochen vor dem Wahltag öffentlich das Handtuch. Thayer hatte allein für den Montag fünf Radio-und neun Fernsehinterviews geplant. Dort würde er im Brustton der Überzeugung das Gegenteil von dem erklären, was er wusste. Der Dreiundvierzigjährige auf dem Weg zum Parkplatz war jedoch kein Idiot. Wenn man Jack Ryan nicht mit heruntergelassener Hose vor einer Kindertagesstätte erwischte, war die Wahl bereits gelaufen.
An ihm sollte es jedoch nicht liegen. Deshalb musste er sich jetzt auf die Presseauftritte am nächsten Tag vorbereiten.
Als er in seinen Lexus kletterte, bemerkte er, dass ein brauner Briefumschlag unter seinem Scheibenwischer steckte. Er lehnte sich aus dem Seitenfenster, griff nach dem Umschlag und holte ihn ins Auto. Er nahm an, dass ein Klubmitglied ihm eine Nachricht hinterlassen hatte, und riss den Umschlag auf. Immerhin konnte er kaum von jemand Fremdem stammen, denn das Klubgelände war umzäunt und stand unter ständiger Bewachung.
Im Umschlag gab es nichts Schriftliches und keinerlei Angaben über die Person, die ihn unter dem Scheibenwischer platziert hatte. Was er jedoch fand, war ein kleiner Speicherstick.
Zwei Stunden später hatte sich Thayer umgezogen. Er trug jetzt Khakihosen, ein offenes Hemd, einen knitterfreien marineblauen Blazer und ein paar Slipper ohne Socken und saß am Schreibtisch in seinem Büro. Er drehte den USB-Stick hin und her und suchte nach einem Hinweis, von wem er stammen könnte. Nach einem Moment des Zögerns setzte er sich auf und wollte den Stick gerade in seinen Laptop stecken, als er dann doch darauf verzichtete. Immerhin könnte er einen Virus enthalten, der seinen Rechner beschädigen oder einige Daten löschen könnte.
Sekunden später betrat Thayer den großen »War Room«, die Kommandozentrale des Washingtoner Wahlkampfbüros. Hier saßen Dutzende von Männern und Frauen an Computern und Telefonen und bedienten Drucker und Faxgeräte. Das rege Treiben wurde von einer langen Reihe von Kaffeemaschinen beflügelt, die auf Tischen entlang der linken Wand standen. Am vordersten Tisch schüttete gerade ein Mädchen im College-Alter heißen Kaffee in ihren umweltfreundlichen Reisebecher.
Thayer kannte sie nicht. Er machte sich gar nicht erst die Mühe, sich mehr als die Namen der wichtigsten fünf Prozent seiner Mitarbeiter zu merken. »Sie da«, rief er und deutete mit dem Finger auf sie.
Die junge Frau zuckte zusammen, als sie begriff, dass er mit ihr sprach, und verschüttete ihren Kaffee. »Ja, Sir?«, antwortete sie nervös.
»Haben Sie einen Laptop?«
Sie nickte. »Auf meinem Schreibtisch.«
»Bringen Sie ihn her.« Er verschwand wieder in seinem Büro, und die Studentin beeilte sich, seinen Auftrag auszuführen.
Benton Thayer fragte sie nicht einmal nach ihrem Namen und ihrer Tätigkeit hier. Stattdessen forderte er sie auf, den Speicherstick in ihren MacBook Pro zu stecken und den Ordner zu öffnen. Mit leicht zittrigen Fingern, die immer noch von dem verschütteten zuckrigen Kaffee klebrig waren, führte sie diese Anordnung aus. Als sich der Ordner öffnete und eine einzige Datei anzeigte, wies Thayer sie an, draußen zu warten.
Die junge Dame folgte dieser Aufforderung nur allzu gern.
Zufrieden, dass sein eigener Computer jetzt nicht mehr durch einen virenhaltigen USB-Stick beschädigt werden konnte, klickte Benton Thayer jetzt auf die Datei, die ihm jemand heimlich zugespielt hatte.
Es gab keine Erklärung und keine elektronische Version eines Deckblatts. Der Name der Datei lautete »John Clark«. Thayer kannte ein paar Männer namens John Clark, das war ein gebräuchlicher Name. Als er die Datei öffnete und
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