Ziel erfasst
und beobachteten den Wohnblock. Beide Männer hatten die rechte Hand, in der sie ihre SIG-Sauer-Pistolen hielten, auf die Oberschenkel gelegt. Sie wollten ihre Waffen nicht zu deutlich zeigen, sie jedoch im Bedarfsfall sofort einsetzen können. In der linken Hand hielt Clark ein Wärmebild-Binokular und Chavez eine Kamera mit einem starken Teleobjektiv. Auf dem Boden unter dem Beifahrersitz lag eine Plastiktüte voller zerdrückter Plastikkaffeebecher und Kaugummipapiere.
Obwohl sie die Waffen gezogen hatten, wollten sie sie möglichst nicht einsetzen, höchstens zur eigenen Verteidigung. Dabei mussten sie sich wahrscheinlich kaum vor dem Terroristen und seinen Kumpanen in Acht nehmen, die in einer Wohnung im dritten Stock dieses Gebäudeblocks Unterschlupf gefunden hatten. Nein, die eigentliche Gefahr war das Viertel selbst. Zum fünften Mal in den vergangenen vier Stunden ging eine Gruppe von etwa einem Dutzend düster dreinschauender junger Männer an ihrem Fahrzeug vorbei.
Chavez hörte kurzfristig auf, durch das Teleobjektiv seiner Canon auf den beleuchteten Eingang des Wohnblocks zu starren, und wandte seine Aufmerksamkeit der Gruppe zu. Er und Clark beobachteten sie im Rückspiegel, bis sie in der Regennacht verschwunden war. Chavez rieb sich die Augen, schaute sich in alle Richtungen um und grunzte: »Das hier ist bestimmt nicht das Paris der Postkarten.«
Clark lächelte und steckte seine Pistole wieder in das Schulterholster unter seiner Segeltuchjacke. »Der Louvre ist weit weg.«
Sie waren in den Banlieues, den äußeren Vororten von Paris. Der Unterschlupf befand sich in einer Sozialbausiedlung in der Gemeinde Stains im Departement Seine-Saint-Denis. In dieser speziellen Banlieue lebten vorwiegend Mieter mit geringem Einkommen, viele von ihnen Einwanderer aus Marokko, Algerien und Tunesien.
Überall in Seine-Saint-Denis gab es solche Siedlungen, aber die beiden Amerikaner hatte es heute Nacht in eine der rausten verschlagen. Auf beiden Seiten der Straße standen heruntergekommene, graffitibeschmierte Mietskasernen. Jugendgangs durchstreiften das Viertel. Aus den langsam vorbeifahrenden Autos dröhnte nordafrikanische Rap-Musik. Neben ihrem Van huschten fette Ratten durch die mit Müll übersäten Rinnsteine und verschwanden in den Gullys.
Bereits früher am Tag hatten die beiden Amerikaner bemerkt, dass der örtliche Postbote einen Helm trug. Die jungen Leute hier machten sich offensichtlich einen Spaß daraus, ihm aus ihren Wohnungsfenstern irgendwelche Gegenstände auf den Kopf zu werfen.
Außerdem hatten sie die ganze Zeit in diesem Viertel kein einziges Polizeiauto gesehen. Es war hier offensichtlich auch für Streifenwagen viel zu gefährlich.
Der Lack des Ford Galaxy, in dem Clark und Chavez saßen, war abgenutzt und verkratzt und die Karosserie zerbeult und verrostet. Fenster und Windschutzscheibe waren jedoch noch völlig intakt und so dunkel getönt, dass die Insassen des Vans kaum zu erkennen waren. Normalerweise würden Fremde, die in einer solchen Straße so lange am Straßenrand parkten, von den Bewohnern behelligt werden. Deshalb hatte sich Clark in dem billigen Autoverleih in Frankfurt für dieses Fahrzeug entschieden. Er war sich sicher, dass sie in ihm nicht allzu sehr auffallen würden.
Trotzdem bestand natürlich immer die Gefahr, dass jemand den Wagen genauer unter die Lupe nehmen und merken würde, dass er nicht aus dieser Gegend stammte. Dann könnten die Mitglieder der örtlichen Jugendbanden auf die Idee kommen, den Wagen zu umzingeln, seine Fenster einzuschlagen und ihn abzufackeln. In diesem Fall müssten Clark und Chavez natürlich sofort das Feld räumen und könnten den Unterschlupf des Terroristen nicht länger beobachten.
Die Amerikaner parkten hinter dem Wohnblock. Sie nahmen an, dass die Terrorzelle zumindest so viel von ihrem Handwerk verstand, dass sie das Gebäude nicht auf der Vorderseite betreten und verlassen würde. Dort lag ein viel befahrener Boulevard, auf dem eine weit größere Gefahr bestand, von irgendjemand bemerkt zu werden.
Natürlich wussten Clark und Chavez, dass sie ihr Zielobjekt mit einem einzigen Fahrzeug nicht lückenlos überwachen konnten. Sie entschieden sich stattdessen, möglichst jeden zu fotografieren, der es betrat oder verließ. Aus diesem Grund hielt Chavez eine Canon EOS 5D Mark II mit einem gewaltigen 600-mm-Superteleobjektiv samt anmontiertem Einbeinstativ griffbereit, mit der er unglaublich detaillierte Aufnahmen von allen
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