Ziemlich beste Freunde
Jäger. Seit seiner Heirat verbringt er einen Teil seiner Zeit in Paris, wo er eine kleine Fabrik zur Herstellung von Luxusverpackungen betreibt, und den Rest auf seinem verarmten Landsitz, der Seigneurie de La Chaise, einem verfallenen Schloss samt dazugehörigem kleinem Weiler. Er richtet einige der Räume wieder so weit her, dass sie bewohnbar sind, wenn sie auch stark an einen Fuchsbau erinnern. Das Schloss liegt mitten in einem zweitausend Hektar großen Wald, in dem er die meiste Zeit allein jagen geht.
Er stirbt inmitten seiner Tiere, weil er sich hartnäckig weigert, auf seine Gesundheit zu achten.
Philippe de Compiègne bringt mir das Schießen bei. Mit ihm lerne ich, welcher Reiz darin liegt, allein im Wald auf der Lauer zu liegen. Das Fliegenfischen, eine weitere Sportart für Einzelgänger, bei der ein scharfes Auge und die Eleganz der Bewegungen zählen, lehrt er mich auch. Onkel Philippe ist wortkarg. Um seine Meinung zu sagen, gebraucht er schon mal die Fäuste. In der Normandie bekommt das der Jagdaufseher zu spüren, der sich am Boden wiederfindet, niedergestreckt von einem Uppercut. Mein Onkel war der Ansicht, der gute Mann habe es seiner Schwiegermutter, der Herzogin, gegenüber etwas an Respekt fehlen lassen. Auch ein dünkelhafter Standesgenosse fällt dem Naturell Onkel Philippes zum Opfer. Auf Dummheit unter seinesgleichen reagiert er mit aristokratischer Brutalität.
Wenn er nicht gerade allein auf der Jagd ist, verkehrt er nur mit einem Dutzend Menschen, immer denselben treuen Freunden. Mindestens einmal die Woche treffen sie sich zum Kartenspiel im Hause Pozzo. Unter ihnen herrscht eine vorbehaltlose Brüderlichkeit. Ist etwa einer für die Frau eines anderen entflammt, wird das mit größtem Takt und Höflichkeit geregelt. Die leidenschaftlichen Partien Gin Rummy beginnen gegen fünf Uhr nachmittags. Zwei Gruppen zu fünf oder sechs Spielern sitzen rechts und links an einer schmalen, langen Tafel und spielen bis tief in die Nacht. Um acht Uhr abends wird das Spiel unterbrochen. Beim Diner dreht sich alles um Tante Éliane, die in der Lage ist, mit Unschuldsmiene die schlüpfrigsten Geschichten zum Besten zu geben, als würde sie sie gar nicht verstehen. Ich habe nie wieder so gelacht wie in dieser Familie, im Kreis dieser Menschen. In den folgenden Jahren komme ich regelmäßig in den Genuss dieser Feste. Tante Éliane führt mich sehr bald in die Regeln des Gin Rummy ein und lässt mich mit am Tisch sitzen. Ich entwickle mich zu einem guten Spieler und habe noch heute meinen Spaß daran. Bei den Compiègnes habe ich die Freuden eines sorglosen Lebens in der Gesellschaft geistreicher, treuer Freunde kennengelernt. Eine Atmosphäre, die rau und feinfühlig zugleich ist.
Der älteste Sohn François, er ist zwei Jahre jünger als ich, ist in all diesen Jahren mein Spielkamerad. Er ist ein grober und riesengroßer Kerl, wie alle Compiègnes, und ein hoffnungsloser Tollpatsch. Von all den Platzwunden muss er mittlerweile hundert Stiche am ganzen Körper haben! Ich erinnere mich noch gut an die Fahrradtouren in unserem Wald in Dangu. Ich fahre vorneweg, sause die Hänge zwischen den Bäumen hinunter und sammle hinterher den bei seinen Stürzen verletzten François wieder ein. Auch als Erwachsener bleibt er, was er immer war: eine tapsige Naturgewalt.
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Eines Tages hat es mich aus der Bahn geworfen. Ich habe die Einsamkeit kennengelernt und dann habe ich sie immer wieder gesucht. Für mich musste alles immer schneller gehen, immer weiter, immer höher. Ich fühlte mich unsterblich! Selbst die Lawine, die mich in Les Arcs unter sich begräbt, bringt mich nicht zur Vernunft, und trotz unzähliger Bruchlandungen mache ich ungerührt weiter. Doch dann ist es an irgendeiner Stelle schiefgegangen. Ich kann mich nicht an den Augenblick erinnern, in dem die Sterblichkeit mich eingeholt hat.
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Als François zwölf Jahre alt ist, schenkt mein Onkel ihm eine Ente, ein altes orangegelbes Postauto, das er für ihn ersteigert hat. Jahrelang ist die Karre unsere treue Spielgefährtin. Schon mit vierzehn kurve ich damit auf den schlammigen Waldwegen herum. Ich habe Fotos von dem Auto wiedergefunden: Darauf sind wir als Jugendliche abgebildet, triumphierend posieren wir mit den Händen in den Hosentaschen und der Kippe im Mundwinkel neben unserem »Streitwagen«. Die Welt liegt uns zu Füßen. Wir sind verwöhnte Bengel.
Von meinem Zimmer aus schaue ich hinüber auf das des
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