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Ziemlich beste Freunde

Ziemlich beste Freunde

Titel: Ziemlich beste Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phillipe Pozzo di Borgo
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Kindermädchens, das für meinen Onkel Cecco, den jüngeren Bruder meines Vaters, und seine Frau Tania arbeitet. Drei Jahre lang ist die Erzieherin für mich die schönste Frau der Welt. Ich erahne ihre Gestalt hinter der Milchglasscheibe des Badezimmers. Nachts träume ich von ihr. Eines Abends schleiche ich, erfüllt von wildem Verlangen, auf Zehenspitzen die zwei Stockwerke hinunter, die uns voneinander trennen. Am Ende des Gangs betrete ich ihr Zimmer. Sie geht gerade schlafen. Ihr Körper schimmert durch den dünnen Stoff des Nachthemds. Verwirrt stehe ich da und stammle: »Ich habe Kopfschmerzen«. Sie gibt mir ein Aspirin. Mit eingezogenem Schwanz trolle ich mich wieder nach oben.
     
    Unter der Woche wohne ich in der École Bossuet , einem von schwarzgekleideten Mönchen geführten Pensionat. Morgens gehen wir zur Messe, die Mahlzeiten gibt es in der Kantine und abends machen wir unter Aufsicht unsere Schulaufgaben. Der Unterricht findet erst im Lycée Montaigne , dann im Lycée Louis-le-Grand statt. Gelegentlich betätige ich mich als Messdiener – ohne große Begeisterung. Eines Morgens klaue ich zusammen mit einigen Klassenkameraden die noch ungeweihten Hostien. Auf dem Weg zum Klassenzimmer essen wir sie auf. Was für ein Erfolg, als der alte Geistliche die Eucharistie feiern will – und gemeinschaftliches Nachsitzen!
    Der Schulleiter von Bossuet , Domherr Garand, ist über achtzig Jahre alt. Er hat schon meinen Großvater unterrichtet, zu Zeiten meines Vaters war er dann Direktor.
    Im Kreis meiner Freunde stehe ich mit einer Wasserbombe in der Hand an einem Fenster im siebten Stock und ziele auf unseren Schulleiter. Er geht über den Hof. Vielleicht meditiert er ja gerade über die Unwägbarkeiten des Lebens. Zisch … Platsch!!! Das Projektil beschreibt eine perfekte Kurve und zerplatzt auf seiner Soutane. Anschlag gelungen!
    Als mein Vater von meiner »Heldentat« erfährt, stimmt er dem Schulverweis zu. Er hat ohnehin beschlossen, mich von der École Bossuet zu nehmen, weil man ihm zugetragen hat, ich verbrächte die meiste Zeit in einem Café, wo man mich den »Flipperkönig« nenne.
     
    Am Ende des vorletzten Schuljahrs komme ich an die École des Roches zu meinen Brüdern. Sehr bald entwickle ich ein politisches Bewusstsein, das im krassen Gegensatz zu den an der Schule vorherrschenden Werten steht. Wegen der Höhe des Schulgelds stammen die Schüler ausschließlich aus den reichsten Familien Frankreichs, und durch das Wirtschaftswachstum der Nachkriegsjahre ist eine neue Schülerschaft herangewachsen, die zwar steinreich ist, aber nicht gerade durch ihre Bildung besticht. Ich erinnere mich an so manche verzogene Schnösel, die von Chauffeuren in die Schule kutschiert wurden. Einer von ihnen fuhr sogar in einem alten Rolls-Royce vor, mit einem livrierten Diener auf dem Trittbrett. Ich schämte mich für ihn und für mich. Bis dahin war ich mir keiner Klassenunterschiede bewusst gewesen. An dieser Schule sondere ich mich ab, ich sehe meine Brüder selten, spiele mehrere Stunden täglich Klavier und rauche in der kleinen, mir zugeteilten Studierkabine eine Zigarette nach der anderen.
     
    *
     
    Später habe ich, weil mich die soziale Ungerechtigkeit so sehr beschäftigte, wie ein Besessener gearbeitet, damit wenigstens die, für die ich verantwortlich war, von ihrem Verdienst leben konnten.
    Als man uns aufforderte, Hunderte Menschen zu entlassen, hätte ich am liebsten zur Waffe gegriffen. Aber dann hätte ich sie, außer mir vor Empörung und eingekesselt von den eiskalten Gesetzen der Wirtschaft, wohl gegen mich selbst gerichtet, damit sie mich wenigstens nicht lebend bekommen.
     
    *
     
    Ich entdecke Marx, Engels, Althusser. In meiner Bude studiere ich diese »roten« Autoren zu den Klängen von Messiaens Klavierstück Vingt regards sur L’Enfant Jésus . Mit dieser Musik entfliehe ich der Verkommenheit meiner Umgebung. Ich bin so aufsässig, dass ich mich weigere, an Gruppenveranstaltungen teilzunehmen. Bei der Verleihung der Preise bekomme ich den meinen »in Abwesenheit«, eine Premiere in den Annalen dieser Schule!
     
    Nach dem Unfall fällt mir etwas ein, was ich damals kaum zur Kenntnis nahm: M. Mortas, der Mathelehrer, starb bei einem Autounfall. Das Gerücht machte die Runde, dass er um zwanzig Zentimeter gewachsen sei, nachdem er unter dem Traktor wieder zum Vorschein kam. Heute kommt diese Erinnerung wieder an die Oberfläche, aus der Tiefe meiner liegenden Position, in der mich

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