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Ziemlich beste Freunde

Ziemlich beste Freunde

Titel: Ziemlich beste Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phillipe Pozzo di Borgo
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alle als größer empfinden als zuvor.
    Im Mai 68 befinde ich mich immer noch an der École des Roches , dieser anachronistischen Einrichtung. Ich beschließe, mich nach Paris abzusetzen, lasse mich von der allgemeinen Begeisterung mitreißen. Ich bin überzeugt, dass diese irrsinnigen Tage mehr Gerechtigkeit mit sich bringen werden: In Zukunft werden die zwischenmenschlichen Beziehungen von Anstand und Respekt geprägt sein.
    Berauscht vom allgemeinen Aufruhr und dem Geruch von Schießpulver, ohne irgendeine Vorstellung, außer der, es werde sofort eine romantisch gefärbte Brüderlichkeit eintreten, erlebe ich einige Tage völliger Losgelöstheit. Die Nächte verbringe ich bei ehemaligen Schulkameraden vom Louis-le-Grand . Bis tief in die Nacht diskutieren wir unsere sozialen Entwürfe.
     
    *
     
    Ich akzeptiere keinen Kompromiss, diesen armseligen Trottel der Moderne.

Mutter »der tausend Lächeln« 11
    Mein Vater kauft eine Zwölfmeteryacht. Ich bin zehn Jahre alt, als wir zum ersten Mal nach Korsika segeln. Unsere Mutter begleitet uns, obwohl sie sich sehr vor der Gewalt der Elemente fürchtet. In den Häfen des »Meers der tausend Lächeln« kommt sie zur Ruhe.
    Einmal, im Sommer, fahren wir bei starkem Mistral zur Insel hinüber. Das aufgewühlte Meer kracht gegen das breite Heck des Boots, und die Wellen überschwemmen unser Deck. Mit gehisster Sturmfock kann mein Vater den Kurs halten. Kurz vor Calvi schaffe ich es, aufzustehen und den Ausdünstungen meiner im Laderaum zusammengepferchten Brüder zu entkommen. Triumphierend laufen wir im Hafen ein. Stolz helfen wir unserem Vater bei den Manövern und legen am Kai an, wo die Leute verblüfft dieses Gefährt betrachten, das dem Sturm widerstehen konnte. Sie wundern sich umso mehr, als mein Vater nicht einmal im Hafenbecken den Motor anwirft. Von Jahr zu Jahr legen wir längere Strecken zurück. Wir erkunden ganz Korsika, dann Sardinien, Elba, die italienische Küste und schließlich das Ionische Meer und die Insel Zakynthos. Dort stoßen wir auf einen Friedhof mit fünfzig Gräbern unserer Vorfahren, die an der Seite der Republik Venedig gekämpft haben.
    Dieser Zweig der Familie ist bei einem Angriff der Türken ausgelöscht worden. Ohne ersichtlichen Grund pflegt ein Friedhofsangestellter ihre Gräber. Wir bleiben eine knappe Stunde dort, und zwei Jahrhunderte Familiengeschichte ziehen an uns vorbei. Von all diesen Lebensläufen ist nicht mehr übrig als ein Vorname und ein paar Daten auf einem Grabstein. Manche davon waren lang – man stellt sich einen stolz zur Ruhe gebetteten Patriarchen vor –, andere kurz – in jungen Jahren verstorbene Kinder. Der Friedhofsbesuch löst ein Gefühl von Schwindel in mir aus, mir wird bewusst, wie die Zeit vergeht, wie die Generationen aufeinander folgen, bis sie sich schließlich alle in der kleinen gemeinsamen Ruhestätte wiederfinden.
    Vier Jahre später kauft mein Vater ein größeres Boot, einen herrlichen Zweimaster aus Fiberglas, sechzehn Meter lang und mit zwei Kabinen. Damit legen wir weite Strecken zurück. Wir starten in La Rochelle, umrunden Europa bei Gibraltar, dringen weit ins Mittelmeer vor, bis zur Türkei, und segeln dann wieder in Richtung Portugal.
     
    Diese langen Segeltörns prägen uns. Mit erschreckender Härte lässt mein Vater uns seine Autorität spüren. Manchmal brüllt er meine Brüder und mich bei schwierigen Manövern unbeherrscht an. Jeder von uns reagiert auf seine Weise: Alain wird leichenblass und verfällt in tiefes Schweigen, Reynier explodiert, lässt uns mitten im Sturm im Stich und rennt unter Tränen davon; auch mir sitzt nach diesen Ausfällen der Schreck in den Gliedern, doch ich rufe mich wieder zur Vernunft und versuche, den Grund für diese Entgleisungen zu finden. Der Lärm von Wind und Wellen zwingt meinen Vater zu brüllen, und manchmal treibt ihn wohl der Ernst der Lage dazu, wild tobend an Deck herumzuspringen.
     
    Mich lehrt all dies Beharrlichkeit in meinen Bemühungen und Demut gegenüber den Elementen, aber auch die Kunst, ihnen eine lange Nase zu drehen.
    Die Törns berauschen mich. Nichts bereitet mir mehr Vergnügen, als unter den Sternen im Wind am Ruder zu stehen. Die geblähten Segel, wie sie weiß in die Dunkelheit hineingleiten, umgeben vom phosphoreszierenden Glanz der See; die Wellen, die sich krachend am Rumpf brechen und in schäumende Champagnerbläschen auflösen.
     
    Eines Sommers kommt es zur Katastrophe. Wir verlassen Lissabon mit der

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