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Ziemlich beste Freunde

Ziemlich beste Freunde

Titel: Ziemlich beste Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phillipe Pozzo di Borgo
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dessen Erleuchtung noch ganz frisch ist, dann denen einer beliebten Sängerin, die Krebs im Endstadium hat und einen Riesenapplaus bekommt. In der Mitte des Stadions steht ein Boxring. Ich sage Abdel, dass er mich alle fünf Minuten drehen soll: Es sind zwar überall Kameras und Leinwände installiert, aber ich möchte mich an jeden Zuschauer persönlich wenden.
     
    Der Eigentümer des frommen Senders und sein Liebhaber, die uns in Paris besucht haben, kündigen uns mit Titel und allem Drum und Dran an. Abdel bittet den schönen Jüngling, den Rollstuhl in den Ring zu bringen. Inzwischen hebt Abdel mich hoch und trägt mich mit sehr viel weniger Mühe als der zuvorkommende junge Mann meinen Rollstuhl. Abdels theatralischer Auftritt bringt die johlende Menge zum Schweigen. Ich habe nichts vorbereitet.
     
    »Ich grüße ganz besonders meine Brüder und Schwestern im Rollstuhl, alle Menschen mit Behinderung, das heißt Sie alle, denn wir alle sind durch das Leben Behinderte.«
     
    Beifallsstürme, ein Teil des Stadions erhebt sich (bis auf die im Rollstuhl natürlich!). Ich erzähle ihnen von meiner privilegierten Kindheit, von Béatrice, von den Lektionen, die mir das Leben erteilt hat. Ich ziehe den Reichtum, der mir durch meine Behinderung zuteilwurde, dem meiner sozialen Herkunft vor: Ich habe das Gefühl, intensiver zu leben, endlich ein Mensch zu sein.
     
    Abdel hat die Choreographie genau geplant: Während der fünf Minuten, die meine Evakuierung aus dem Boxring dauert, bekommen wir standing ovations. Zahlreiche Rollstuhlfahrer haben sich an den Rand des Gangs gestellt, um mich zu begrüßen. Endlose Minuten lang versuche ich eine hübsche Tetraplegikerin zu küssen; ihre weinenden Augen sagen alles. Wir bedanken uns bei den Organisatoren und treten erschöpft den Rückflug an.

Dies kleine Mädchen Hoffnung
    Ich komme aus Kanada nicht mit mehr Glauben zurück, aber mit der Überzeugung, dass wir alle – ob gläubig oder nicht – nach Hoffnung streben.
     
    Die Frage, ob es einen Gott gibt, beschäftigt mich nicht. Ich habe weder Lust, mich damit auseinanderzusetzen, noch die Veranlagung dazu. Doch die Solidarität, die Brüderlichkeit unserer Situation könnten mich dazu bringen, von Zeit zu Zeit an Ritualen teilzuhaben, einer Gemeinschaft anzugehören – der Behinderten, der Gläubigen –, warum nicht?
     
    Béatrices Glauben gründet in der Ewigkeit. Ich, der Behinderte, entdecke die Hoffnung in unserem Elend, in den kleinen Nichtigkeiten des Augenblicks, die die Möglichkeit der Besserung in sich tragen.
     
    Freut euch, Behinderte, denn die Hoffnung ist euch selbstverständlich.
     
    »Aber die Hoffnung, sagt Gott, sie ist es, die mich erstaunt.
    Mich selbst.
    Es ist erstaunlich.
    Dass diese armen Kinder sehen, wie es zugeht, und dennoch glauben, dass es morgen besser wird […]
    Zu hoffen, also das ist wirklich schwer. (Leise und verschämt.)
    Einfach hingegen ist es, zu verzweifeln. Das ist die große Versuchung.« 19
     
    Wie viele Freunde im Rollstuhl habe ich an die Verzweiflung verloren?
    Eine Welt ohne Hoffnung ist die Hölle.
     
    »Oh, mein Gott, er ist nun auch ein Grab! Und wie lautet die Grabschrift? Mal sehen! Wer ist der Tote, der hier schläft? Inschrift der Hölle! ›Hier ruht die Hoffnung‹. Schweigen, Schweigen!« 20
     
    Unsere Aufgabe ist es, die Reihen zu schließen zwischen den »nutzlosen Leidenschaften« 21 und der Beharrlichkeit, Tochter der Hoffnung.
     
    *
     
    Béatrice hatte eine Gruppe von Freunden um sich geschart, mit denen sie die Bibel las und betete. Nach ihrem Tod haben wir weitergemacht.
     
    Die Bibel ist kein Zuckerschlecken. Auf jeder Seite gibt es Unglück und Leid. Körperliche Gebrechen, der Tod der eigenen Kinder, Unfruchtbarkeit, Verfolgung durch Feinde, Erniedrigung in jeder Form, Einsamkeit, Verlassenheit, die Undankbarkeit der Freunde, die Untreue des geliebten Menschen, Skandale und der Sieg des Bösen, Morde, Kriege – das sind die Grundbedingungen des menschlichen Daseins. In der Offenbarung des Johannes liegt mehr Wahrheit als im realen Leben.
     
    Einer meiner Freunde, der gerade ein unerhörtes Vermögen geerbt hat, fragt mich, wie es sich mit der Vereinbarkeit von Reichtum und christlichem Glauben verhält. Abdel schaltet sich ein:
    »Hören Sie, wenn Sie nicht wissen, was Sie damit anfangen sollen – ich hätte damit kein Problem!«
    »Und Sie, Abdel, glauben Sie an Gott?«
    »Ja, aber ich habe keine Zeit mehr zu praktizieren, ich

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