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Ziemlich beste Freunde

Ziemlich beste Freunde

Titel: Ziemlich beste Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phillipe Pozzo di Borgo
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Behinderte!
     
    *
     
    »Clara,
    ich habe meine Seele nicht mehr der Schönheit der Welt preisgegeben. Mein Leib ist in Trümmern. Zwischen meinem anfänglichen Überschwang und meiner heutigen Selbstaufgabe bin ich vom Weg abgekommen. Mir ist alles gleichgültig geworden. Lassen Sie uns gemeinsam die Quelle wiederfinden, die ich an Ihrer Seite frisch und neu erahne.
     
    Ich fordere diese Träume bei Ihnen ein. Leihen Sie sie mir – im Tausch biete ich Ihnen meine unstete Identität. Ich sehne mich nach einem neuen Anfang, möchte einen Schlussstrich unter die Zeit des Leids und der Ergebung ziehen.
     
    Wenn Sie mich neu entwerfen, können wir uns gemeinsam in aller Offenheit auf den Weg machen.«
     
    23 Polysensualismus: Körperkult, Streben nach Bequemlichkeit, Vermehrung der Reize.

Rollenspiele
    Stellen wir uns einmal eine ins Gegenteil verkehrte Welt vor: Ausgeglichenheit wäre die Norm, Hektik die unangemessene Ausnahme.
     
    Sonntags würden sich die Rollstühle scharenweise durch den Jardin d’Acclimatation schieben, die hektischen Gesunden wären in den Käfigen. Den Kindern würde der Anblick des Dicken mit den zerzausten Haaren besonders gut gefallen, der, einen rosa Hörer an sein knallrotes Ohr gepresst, sich wie besessen um die eigene Achse dreht. Er brüllt seinen kleinen Nachbarn mit den hohen Absätzen an. Beide tragen mehrere Uhren an jedem Handgelenk, Trainingsanzug, eine gelockerte Krawatte. Sie pinkeln, ohne mit ihrer wilden Fuchtelei aufzuhören – diesen Moment mögen die Kinder am liebsten, sie nicken zum Applaus mit den Köpfen.
    Bei Vollmond, wenn die Hektiker endlich in ihrem medikamentösen Schlaf erstarren, steht das Volk der Behinderten auf und das Gelobte Land gehört ihnen. Die Nacht gehört den Umarmungen. Die Becken der Frauen erlangen ihre Beweglichkeit wieder, die Männer ihre Steifheit. Das Paradies, das ist diese unwahrscheinliche Möglichkeit. Nicht zu oft, um nicht abzustumpfen, und nicht zu selten, um nicht zu verzweifeln.
     
    Stellen Sie sich einmal vor, ein paar Stunden lang nicht zu sprechen – die Melodie würde hörbar werden, und in Zukunft würden Sie jedes Wort auf die Waagschale legen. Versinken Sie doch mal in ein Koma – beim Erwachen würde Ihnen die Schönheit erscheinen! Versuchen Sie es mit einem vorübergehenden Tod, dann empfindet man den echten, nachdem man das Leben genossen hat, als freundlich.
     
    Das Absurde verschafft mir Linderung. Morgen ist mein Tag des Vergessens. Vielleicht wird Gott mir ja zuflüstern, dass es Ihn gibt? Kannst du dich dafür einsetzen, Béatrice, dass Er mir ein erfülltes Leben schenkt, befreit von meinen Ausgangsbedingungen? Welche Mühsal, das ganze Leben lang gegen die Schwerfälligkeit zu kämpfen! Möge er uns doch gleich bei der Geburt alle Begabungen einhauchen. Lästige Prägungen! Lasst endlich von uns ab, ihr alten Geschichten!
     
    *
     
    »Clara,
    heute Nacht hatte ich einen grotesken Traum.
     
    Eine riesige Frau mit ein paar schwarzen Korkenzieherlocken und obszönem Mund liegt rücklings im fetten Gras. Sie gebiert einen kleinen Teufel. Schon stellt sich ihr Gnom auf die Beine und rennt los. Ein brutales Lächeln legt sich auf sein pausbäckiges Gesicht. Er schlägt um sich. Seine Mutter steht aus dem Wochenbett auf und setzt sich in Bewegung. Der Boden bebt unter ihren schweren Schritten. Sie hat sichtlich großen Appetit auf ihren Nachwuchs, das Wasser läuft ihr im Mund zusammen, mit ausgestreckten Armen rennt sie dem Jungen hinterher und ruft dabei laut meinen Namen. Ihr Sprössling verfolgt ein kleines Mädchen, sein Schwanz ist bereits steif.
     
    Das Blickfeld vergrößert sich, viele hektische Gestalten treten ins Bild, breitbeinig gebären einige von ihnen Kinder, andere prügeln sich, wieder andere umarmen sich. Die Erde, umfangen von einem vibrierenden Mond, umkreist mit schmachtendem Blick die Sonne; der schöne Himmelskörper errötet im Angesicht eines anderen Sterns. Endlich habe ich das universelle Gesetz der Begierde verstanden. Der Schwanz des Mannes nährt die Mutterbrust.
     
    Wie froh es mich stimmt, anzüglich zu sein. Nehmen Sie es mir nicht übel – mit Ihnen entdecke ich die Komödie wieder.«

Der großzügige Patenonkel
    Seit Wochen regnet es in Paris. Ich bleibe im Bett, verbrannt, aufgerieben, von der Stille entmutigt.
     
    »Ihnen ist doch bewusst, dass übermorgen der Geburtstag Ihres Patenkinds, des Amis, ist«, sagt Abdel und fügt hinzu: »Er wird achtzehn. Da muss man

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