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Zigeuner

Zigeuner

Titel: Zigeuner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bauerdick Rolf
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Tataren verdankt. Elisabeth glaubte, Freunde aus Deutschland hätten ihr die Karte geschickt. Als netten Gruß, oder zur Gratulation, hatte sie doch gerade erst Namenstag gehabt und hatten die freundlichen Deutschen doch versprochen den Kontakt zu pflegen, nachdem sie der Familie so tatkräftig geholfen hatten. Aus Solidarität und Mitgefühl waren sie nach Tatarszentgyörgy gekommen. Um ein Zeichen zu setzten gegen Rassismus und Hass, hatten sie eine Weile hier gelebt und der Familie Csorba ein neues Haus gebaut, nach dem schrecklichen Feuer und dem grässlichen Attentat im Februar 2009. Niemand sonst als die hilfsbereiten Fremden, aus denen Freunde geworden waren, konnte die Postkarte geschickt haben. So glaubte Erzsebet. Und weil ihr das farbenfrohe Bildmotiv gut gefiel, steckte sie die Karte hinter die Glasscheibe des Küchenschranks. Weder ihr Mann Csaba noch die Tochter Silvia und die verbliebenen sechs Söhne noch die Nachbarn hatten eine Ahnung, dass die Karte die vierarmige Hindu-Göttin Saraswati zeigte, die auf einer Lotusblüte hockend die Sitar zupfte.
    Aufgegeben und maschinell gestempelt wurde die Postkarte als Luftpost mit der Registriernummer 13905863 am 18. 11. 2010 um 7: 52 pm im Royal Mail Centre im britischen Sheffield. Eine Absenderangabe fehlte. Die knappe Nachricht, mit wohlgeformten, schwungvoll gerundeten Lettern zu Papier gebracht, ließ auf eine Frauenhand schließen. Die Botschaft lautete:
    »The Government of the Republic of India will help you. Super!«
    Da niemand am Ende der Zigeunersiedlung von Tatarszentgyörgy die Nachricht lesen konnte und niemand den kleinen Hakenkreuzen in den vier Ecken der Postkarte Beachtung geschenkt hatte, blieb der 46-jährigen Erzsebet Csorba und ihrer Familie der abgründig boshafte Sarkasmus der Botschaft verborgen. Die hieß schlicht: Geht dorthin zurück, wo ihr hergekommen seid. Verschwindet! Haut ab nach Indien!
    Schon einmal hatte ich von einer solchen Botschaft gehört und gelesen, im Jahr 1995, als eine Pressemeldung für Entsetzen sorgte. Am 4. Februar hatten rechtsradikale Killer im österreichischen Oberwart unweit der Siedlung burgenländischer Zigeuner den Spruch angebracht: » ROMA zurück nach INDIEN !«; und das auf einem widerwärtigen Schild, das seine Heimtücke erst offenbarte, als einige Männer es entfernen wollten. Eine von Neonazis versteckte Rohrbombe explodierte und riss Peter Sarkösi, Josef Simon sowie Erwin und Karl Horwarth in den Tod. Danach schrieb der Schriftsteller Rajko Djurić in einem zornigen Essay: »Menschen, die von Freundschaft und Liebe nichts wissen, aber bewaffnet sind mit dem Wissen, wie man andere ausrottet, haben die Macht ihrer Unmenschlichkeit erprobt. Die Höllenmaschine, die sie am Weg installierten, ist so laut explodiert, dass man es in ganz Europa hörte.«
    Das Pulverfass rassistischen Wahns explodierte auch in Tatarszentgyörgy. Am 23. Februar 2009 kurz nach Mitternacht schlich sich der Hass aus feigem Hinterhalt heran. Der Aufschrei, den er auslöste, hallte nicht nur durch Europa, sondern durch die Welt. Um zu verstehen, was in dieser Nacht in Tatarszentgyörgy geschah, traf ich Vitza wieder, meine gute Bekannte, Dolmetscherin und Begleiterin aus früheren Jahren. Viktória Mohácsi, die ehemalige Fernsehmoderatorin des Cigány-Magazins, war zwischenzeitlich in die Politik gegangen. Als Bürgerrechtlerin. In Ungarn fand sich in jenen Tagen schwerlich jemand, der so viele Informationen über die rassistisch motivierte Gewalt gegen die Roma gesammelt hatte wie die Mittdreißigerin.
    Am Morgen des 23. Februar 2009 gegen 7.00 Uhr hatte Viktória Mohácsi ihren Koffer gepackt und sich von ihren Kindern, dem Ehemann und ihrer Mutter verabschiedet. Es war ein Montagmorgen, und vor ihr lag eine harte Arbeitswoche. Damals war Viktória noch Abgeordnete im Europäischen Parlament in Strasbourg, in dem sie für die Liberale Partei Ungarns die Roma-Minderheit ihres Landes vertrat. Just als sie am Stadtrand von Budapest in ihr Auto stieg, um zu einem mehrtägigen Kongress nach Kroatien zu fahren, klingelte ihr Telefon. Die Anruferin hieß Lidia Horvath, die sich aufgeregt als Vizepräsidentin der lokalen Roma-Selbstverwaltung in Tatarszentgyörgy vorstellte. Die ganze Nacht über hatte sie vergeblich versucht, einflussreiche ungarische Roma-Politiker ans Telefon zu bekommen. Viktória Mohácsi war die erste, die den Hörer abnahm. Atemlos und verwirrt erzählte Frau Horvath, in ihrer Siedlung seien in der

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