Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zigeuner

Zigeuner

Titel: Zigeuner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bauerdick Rolf
Vom Netzwerk:
der Geschichte in Tatarszentgyörgy gehört. Die Toten seien wohl nicht die Opfer einer Mordattacke, sondern durch ein Feuer infolge illegal angezapfter Stromleitungen ums Leben gekommen. Ich widersprach. Lajos Kovács meinte, die ihm bekannte Version eines tragischen Unfalls werde von der lokalen Polizeiwache aus Orkeny verbreitet. Schon seit sechs Uhr morgens im Internet. Ich bat Kovács, sich die Leichen, die zwischenzeitlich nach Budapest überführt worden waren, persönlich anzuschauen. Schon wenig später rief er mich zurück und bestätigte, die schweren Verletzungen, denen Róbert Csorbas erlegen war, stammten nicht von irgendwelchen Nägeln. Es waren Schusswunden aus Jagdgewehren. Am Nachmittag ermittelten hier zwischen zwanzig und dreißig Kripoleute aus Budapest. Dass die Morde als Morde anerkannt wurden, ist Lajos Kovács zu verdanken.«
    Und der mutigen Viktória Mohácsi.
    Gut dreißig Mal saß sie seit der Mordnacht im Wohnzimmer der Csorbas, wo ungezählte Reporter und Menschenrechtler aus der ganzen Welt sich die Klinke in die Hand gaben. Die Politikerin klärte die Presseleute auf über die Schlampereien der Polizeiarbeit, informierte über den Stand der Ermittlungen, gab politische Statements ab und übersetzte für Journalisten aus Kanada, Japan und den USA , für CNN und BBC und die New York Times, zuletzt für eine ganze Busladung französischer Berichterstatter, über die sich Familie Csorba wunderte, »weil sie bei ihren Fragen immer mit den Fingern aufzeigten. Wie in der Schule«.
    Bei meinem Besuch hing in der Wohnstube der Csorbas ein Kunstdruck mit Leonardo da Vincis Abendmahl an der Wand, umrahmt von schief hängenden Fotografien, die fast alle dasselbe Motiv zeigten: Róbert Csorba, ein kräftiger Mann, jung, vital, mit muskulösen Oberarmen, neben seinem Sohn Robika, ein nettes Kerlchen in einem etwas zu großen Jackett. Sein Großvater, der neunundvierzigjährige Csaba, trug einen ausgewaschenen blauen Jogginganzug, saß auf einem Sofa, rauchte und nippte an seinem schwarzen Kaffee. Er sprach ruhig, fast monoton, ohne seine Stimme zu heben oder zu senken. Ungezählte Male hatte er seine Version der Tragödie schon erzählt. Mal verzweifelt, mal wütend, mal einfach nur erschöpft.
    »Robby hätte gerettet werden können«, sagte Csaba. Er sagte das nicht mehr wie ein Rebell, eher wie ein klagloser Dulder. Sein ausgezehrtes Gesicht war das eines müden Menschen, der keine Tränen mehr hat.
    »Man wollte Robbys Leben nicht retten«, sagte seine Mutter Erzsebet. »Da bin ich mir ganz sicher. Er sollte sterben.«
    Anzunehmen ist, dass Erzsebets Behauptung den Weg in die Notizblöcke vieler Journalisten fand. Und von dort in die Zeitungen. Auch in englische. Was die Karte mit der indischen Göttin und den Hakenkreuzen erklären würde, die künftig nicht mehr hinter einer Glasscheibe bei der Familie Csorba stecken wird, seit Erzsebet mit versteinerter Miene gewahrte, dass der Weg zwischen dem Verschicken von bösen Briefen und dem Töten von Menschen sehr kurz sein kann.
    Nach Ermittlungen einer Sondereinheit der ungarischen Kriminalpolizei wurden im Sommer 2009 in einem Nachtclub im ostungarischen Debrecen vier Männer im Alter zwischen dreißig und vierzig Jahren verhaftet. An neun verschiedenen Tatorten hatten István Csontos, Zsolt Petõ sowie die Brüder Árpád und István Kiss DNA -Spuren hinterlassen. Denen zufolge gehen diverse schwere Straftaten sowie sechs Morde an Roma auf ihr Konto. Auch im nordostungarischen Nagycsécs hatten sie im November 2008 zunächst Molotow-Cocktails in eine Zigeunersiedlung geworfen. Als sich die Bewohner vor den Flammen retten wollten, erschossen sie einen Mann und eine Frau mit ihren Jagdgewehren. Ein taubstummes Mädchen überlebte die Mordaktion nur deshalb, weil sie die Schreie nicht hörte und erst spät aus dem brennenden Haus floh. Ein halbes Jahr darauf ermordeten die Serienkiller in Tiszalök im Nordosten Ungarns den 54-jährigen Jenő Kóka. Der Arbeiter wurde abgeknallt, als er sich auf den Weg zur Nachtschicht in einer nahegelegenen Chemiefabrik machte. Dieselben Täter stürmten am 3. August 2009 in der Ortschaft Kisléta das Haus der alleinerziehenden Maria Balogh, traten die Wohnungstür ein und feuerten ihre Schrotgewehre leer. Die 45-jährige starb in ihrem Bett, ihre 13-jährige Tochter Timea wurde lebensgefährlich verletzt.
    Beängstigend war: An einigen Tatorten wie in Tiszalök wollten Nachbarn und Anwohner vor den Morden »ein

Weitere Kostenlose Bücher