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Zigeuner

Zigeuner

Titel: Zigeuner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bauerdick Rolf
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Bemerkungen zum Stand der polizeilichen und staatsanwaltlichen Ermittlungen. Viktória hatte die Vorfälle chronologisch geordnet, teilweise vor Ort recherchiert und akribisch dokumentiert. Die Gewaltakte reichten von anonymen telefonischen Morddrohungen und Nazi-Parolen an Hauswänden, von eingeworfenen Fensterscheiben, nächtlichen Gewehrschüssen und Benzinbomben auf Roma-Häuser über Prügeleien und Skinhead-Angriffe auf offener Straße, bösen Attacken mit Rasierklingen bis hin zu versuchten Tötungsdelikten und hinterhältigen Morden. Neun Menschen wurden in dem Zeitraum umgebracht. Sechs Morde wies die Kriminalpolizei mittels DNA -Analysen jenen vier Serienkillern nach, die auch Róbert Csorba und seinen fünfjährigen Sohn Robika aus einem Hinterhalt erschossen hatten. Fraglos hatte der heimtückische Mord in Tatarszentgyörgy auch die Ungarn entsetzt und ihre Abscheu geweckt. Denn in dem Puszta-Dorf hatten die Mörder ein Tabu gebrochen. Als sie einem kleinen Jungen mit einem Jagdgewehr eine Ladung Schrot ins Gesicht feuerten, hatten sie jene Grenze überschritten, vor der nur Psychopathen nicht zurückschrecken. Nach ihrer Festnahme in einer Bar in Debrecen verbüßen die Brüder Árpád und István Kiss sowie Zsolt Pető und István Csontos nun lebenslange Haftstrafen. Noch immer schweigen sie zu den möglichen Hintermännern, an deren Existenz kaum ein Ungar Zweifel hegt.
    Ende Februar 2009, wenige Tage nach der Tat in Tatarszentgyörgy, häuften sich die Drohungen gegen die Europaparlamentarierin Viktória Mohácsi. Sie hatte zwar die skandalösen Vertuschungsmaßnahmen der Polizei aufgedeckt, zugleich aber auch einen Fehler begangen. Viktória hatte sich auf hauchdünnes Eis begeben. Es brach, als sie zwei Bluttaten miteinander verglich: den Mord an einem unschuldigen Jungen und den Mord an einem Sportler, der kurz zuvor eine Welle nationaler Trauer und Wut ausgelöst hatte. Der ebenso prominente wie geschätzte rumänische Handballer und Nationalspieler Marian Cozma, der in seiner ungarischen Wahlheimat für den Landesmeister MKB Veszprém spielte, war von gewalttätigen Roma erstochen worden. Viktória Mohácsi hatte den Eindruck erweckt, im Gegensatz zu dem feigen Mord aus dem niederen Motiv des Rassenhasses sei Marian Cozma lediglich das bedauerliche Opfer einer Diskothekenprügelei geworden. In der ungarischen Fernsehanstalt Magyar Televízió mutmaßte sie, Cozma habe die Täter wohl provoziert und als »Zigeuner« beleidigt, woraufhin es zu einer Schlägerei kam, bei der der Sportler getötet wurde. Eine verhängnisvolle Fehleinschätzung, die Viktória Mohácsi erst korrigierte, als die Volksseele kochte.
    In der Nacht zum Sonntag, dem 8. Februar 2009, hatten sich die Handballer des Veszprémer Traditionsvereins in der örtlichen Patriota-Bar getroffen, wo sie mit ihren Frauen und ihrem Mannschaftskollegen Gergö Ivancsik die Geburt von dessen Sohn feierten. Unter den Gästen war auch der 26-jährige Marian Cozma, Kreisläufer beim MKB mit der Trikotnummer acht, ein Hüne mit einem Körpermaß von zwei Meter und elf, von dem nicht nur sein Trainer sagte, er sei wie ein großes Kind gewesen, friedlich, gutmütig und freundlich zu jedermann.
    Gegen zwei Uhr morgens betrat eine fünfzehnköpfige Gruppe Roma das Lokal, darunter polizeibekannte und vorbestrafte Gewalttäter, Zuhälter und gefürchtete Schutzgelderpresser. Bei ihrer erfolglosen Suche nach einem aus der Haft entlassenen Rivalen, mit dem sie laut Medienberichten abzurechnen gedachten, pöbelten sie die Gäste auf der Tanzfläche im Untergeschoss an. Schließlich bedrohten sie eine Kellnerin, die dagegen protestierte, dass die Bande die Zeche prellen und ihre Getränke nicht bezahlen wollte. Als sich die Handballer vor die junge Frau stellten, eskalierte die Situation. Es kam zu Handgreiflichkeiten. Menschen schrien, die Musik setzte aus, die Gäste stoben auseinander, Messer wurden gezückt. Nur enthüllten die Aufzeichnungen einer Überwachungskamera später, dass Marian Cozma keineswegs die Roma provoziert und beleidigt hatte. Im Gegenteil. Er hatte mit seiner Freundin getanzt, floh vor dem Tumult und stürzte mit seinem Teamkameraden Zarko Sesum über eine Treppe zum Ausgang. Sie wurden von bewaffneten Roma verfolgt, wobei Sándor Raffael zwei Mal mit seinem Messer zustieß. Er traf Cozmas Herz. Als der Handballtorwart Ivan Pesic seinem verblutenden Freund zur Hilfe eilte, wurde auch er durch einen Messerstich lebensgefährlich

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