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Zigeuner

Zigeuner

Titel: Zigeuner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bauerdick Rolf
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verletzt. Zarko Sesum erlitt nach Tritten gegen den Kopf einen Jochbeinbruch und ein Schädel-Hirn-Trauma.
    Nach einem internationalen Fahndungsgesuch wurden Sándor Raffael und Győző Németh kurz nach der Tat bei ihrem Fluchtversuch nach Italien in Österreich festgenommen. Tage später stellte sich Iván Sztojka auf Druck seiner Sippe den ungarischen Behörden. Im Sommer 2011 wurde er zu zwanzig Jahren Gefängnis verurteilt. Die Hauptangeklagten Raffael und Németh erhielten lebenslange Haftstrafen. Raffaels Verteidigung hatte vor Gericht plädiert, ihren Mandanten nicht wegen Mordes, sondern lediglich wegen Körperverletzung mit Todesfolge anzuklagen. Raffael habe nicht beabsichtigt, Cozma zu töten. Vielmehr habe er sich von mehreren Angreifern bedrängt gefühlt und sei in Panik geraten. Die Staatsanwältin, im Laufe des Prozesses mit Unflätigkeiten beschimpft, widersprach dieser Sicht der Geschehnisse. Auch das Gericht folgte der Strategie der Verteidigung nicht. Die Angeklagten hätten töten wollen, hieß es in dem erstinstanzlichen Urteil. Deshalb hätten sie auch mehrfach auf Marian Cozmas Kopf getreten, als er schon sterbend auf dem Boden lag. In einem Berufungsverfahren 2012 wurden die Urteile jedoch abgemildert, in achtzehn beziehungsweise acht Jahre Gefängnis je nach Schwere der Tatbeteiligung.
    Als sich Viktória Mohácsi aufrichtig und in aller Form im Fernsehen entschuldigte, keinesfalls habe sie die kriminellen Täter rechtfertigen und das Verbrechen banalisieren wollen, war die Lawine der Entrüstung bereits zu mächtig, als dass die Öffentlichkeit ihre Abbitte noch mit Wohlwollen annehmen mochte. Das Entsetzen über den Mord einte alle Ungarn. Nicht aber die Antwort auf die Frage, wie die kaltblütige Tat gesellschaftspolitisch zu werten sei.
    »Die Mörder des Veszprémer Handballidols Marian Cozma und deren Angehörige sehen sich jetzt nicht nur wegen ihrer Tat dem Hass und den Rachegelüsten der Mehrheitsgesellschaft ausgesetzt, sondern auch, weil sie Zigeuner sind«, schrieb der Chefredakteur der konservativen Budapester Zeitung Jan Mainka. »All der aufgestaute namenlose Frust angesichts des hochproblematischen tagtäglichen Miteinanders scheint sich mit einem Mal an der neuen Märtyrergestalt Cozma Bahn zu brechen. Die Prominenz und allgemeine Beliebtheit des Opfers, aber auch die Brutalität der Tat, lassen die Dämme bersten.« Zwei Wochen nach Marian Cozmas Tod starben Róbert und Robika Csorba in Tatarszentgyörgy.
    Rechte Populisten benutzten das mafiöse Umfeld der Mörder Cozmas, um unterschiedslos eine ganze Ethnie in Misskredit zu bringen. Der publizistische Scharfmacher Zsolt Bayer hetzte in der Tageszeitung Magyar Hírlap: »Das Maß ist voll«, und erklärte kriminelle Roma zu »Tieren«, während die uniformierten Ungarischen Garden mit knallenden Stiefeln gegen die »Zigeunerkriminalität« marschierten. Galt das Schlagwort zuvor noch als ideologischer Kampfbegriff der extremen Rechten, so wurde es mit dem Mord an Marian Cozma auch in der bürgerlichen Mitte salonfähig. Unter den besonnenen Stimmen, die vor einer Zuspitzung der ethnischen Konflikte und einer bürgerkriegsähnlichen Eskalation des Rassenhasses warnten, bewegten vor allem die weitherzigen Worte von Petre Cozma, dem Vater des ermordeten Handballers. Doch seine Mahnung, wegen eines morschen Baumstammes fälle man keinen ganzen Wald, verhallte kaum gehört. Zu entfesselt waren Trauer und Wut. Zu präsent war zudem die Erinnerung an jene unheilvolle Tragödie, die als der »Lynchmord von Olaszliszka« die Ungarn aufgebracht hatte. Weniger aus boshaftem Hass denn aus fassungsloser Ohnmacht.
    Am 15. Oktober 2006 hatte der Geografielehrer Lajos Szögi in Olaszliszka, einer kleinen Ortschaft im Weinbaugebiet Tokaj, in einer Roma-Siedlung mit seinem PKW ein zwölfjähriges Mädchen angefahren, das wohl ein wenig benommen war, ansonsten jedoch nahezu unverletzt blieb. Als der Vierundvierzigjährige nach dem Kind schauen wollte, fielen blindwütende Roma, die das Mädchen für tot hielten, über den Familienvater her. Zwei von Szögis Töchtern, fünf und vierzehn Jahre alt, sahen hilflos und voller Todesfurcht zu, wie ihr Vater fast eine Viertelstunde lang getreten und zu Tode geprügelt wurde.
    Obwohl acht der Totschläger, darunter auch der mehrfach vorbestrafte Vater des angefahrenen Mädchens, langjährige Gefängnisstrafen absitzen müssen, lag mir der Gedanke fern, in der fraglos barbarischen Tat eine

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