Zigeuner
unerträglichen Gestank. Ratten traten auf. Es wird uns jetzt der Vorwurf gemacht, dass wir nicht dafür gesorgt hätten, dass die Ratten bekämpft werden. Das ist immer wieder geschehen. Das Hinterhaus in der Arheilger Straße war nicht mehr bewohnbar. Die Zimmer waren übersät mit Unrat und Exkrementen … Das vorhandene Mobiliar war mit Ausnahme weniger Wertgegenstände, die von den Mitarbeitern der Stadt sichergestellt wurden, zerstört oder beschädigt. Die in den Räumen herumliegenden Kleidungsstücke waren zerrissen, verschmutzt und teilweise mit Kot verschmiert, und die Mitarbeiter der Stadt weigerten sich, diese Gegenstände aus dem Haus zu transportieren und sicherzustellen.«
Danach schrieb Romani Rose, nunmehr als Vorsitzender des neu gegründeten Zentralrats, an Metzger:
»Das menschenverachtende und rassistische Ausmaß Ihrer Anordnung wird dadurch deutlich, weil während der kurzen Abwesenheit der Roma-Familien zu einer 14-tägigen Geschäfts- und Urlaubsreise der gesamte private Besitz wie Möbel, Geschirr und Wäsche, aber auch unwiederbringbar persönliche Dinge mit ideellen Werten wie sakrale Gegenstände, Dokumente und Familienfotos … unter den Trümmern des Hauses begraben und auf die Müllhalde abgefahren wurden … Es war abscheulich genug, dass die SS in der Reichskristallnacht die persönliche Habe der Juden und bei den Deportationen auch die unseres Volkes mit Stiefeln zertreten hat, als dass wir es heute widerspruchslos 1983 – 50 Jahre nach der Machtergreifung Hitlers – hinnehmen können, wenn ein Oberbürgermeister persönliche Habe von Roma-Familien mit Baggerschaufeln willkürlich zertrümmern lässt.«
Rose war »entsetzt über den unfassbaren Skandal«. Er warf Günther Metzger vor, er habe die »Darmstädter Roma-Familien zu verdreckten Untermenschen erklärt« und ziehe deren Würde in den Schmutz. Rose sprach von einem »primitiven Niveau von Beleidigungen«, von einer »perversen Diffamierung«, von »pathologischen Vorurteilen« und erklärte gegenüber Metzger: »Ihr Beteuern, wertfrei zu berichten und nur die objektiven Tatsachen festzustellen, all das ist ekelhafter, nationalsozialistischer Stürmer-Stil aus den dreißiger Jahren gegen Juden … Sie verstehen es auf Ihre Art, die Sozialdemokratie und diejenigen, die für deren Ideale in die Konzentrationslager gingen und dort umkamen, in die Gosse zu zerren.«
Romani Rose teilte sein Urteil über den Darmstädter Oberbürgermeister der deutschen und europäischen moralischen Avantgarde mit, wobei vorzugsweise Persönlichkeiten aus dem linkspolitischen Spektrum der Sicht des Zentralratschefs folgten. Allen voran die Schriftstellerin Luise Rinser. Aus Italien hatte sie ein Telegramm an den »O.B. Metzger« geschickt. Der Wortlaut: »Entsetzt über Vorgehen gegen Sinti. Erinnert die Welt beschämend an Hitler. Fordere im Namen aller anständigen Deutschen Wiedergutmachung.« Im Rückblick erweist sich dieses Telegramm als eines der dreistesten Dokumente politischer Unverschämtheit seit 1945.
2011 legte José Sánchez de Murillo zum 100. Geburtstag der Schriftstellerin eine aufsehenerregende Biografie vor: Luise Rinser. Ein Leben in Widersprüchen. Demnach hat sich Rinser nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Lebenslegende als Widerständlerin im Dritten Reich komplett zusammengelogen. Bereits 1935 hatte sie sich mit ihrem Gedicht »Junge Generation« in der Zeitschrift Herdfeuer als glühende Hitler-Verehrerin exponiert, als »des großen Führers verschwiegene Gesandte«. »Wir jungen Deutschen«, schwadronierte sie, »wir wachen, siegen oder sterben. Denn wir sind treu!« Luise Rinser beließ es nicht dabei, pathetisch von »todtreu verschworenen Wächtern heiliger Erde« zu raunen. Nach dem Untergang des Nationalsozialismus veredelte die Literatin ihre Geschichte mit der Mär, am Berliner Volksgerichtshof unter dem berüchtigten Roland Freisler wegen Hochverrats angeklagt und mit dem Tod bedroht worden zu sein. Sánchez de Murillo hingegen wies nach, dass Rinser beim Bund Deutscher Mädel Gruppenführerinnen der Hitlerjugend ausbildete, als Lehrerin ihren jüdischen Schuldirektor denunzierte und im NS-Staat Karriere machte. Auf der Seite Sintiweb.de hieß es, unter den vielen falschen Widerstandskämpfern, die in der Nachkriegszeit ihre Biografie manipulierten, habe Rinser »den Vogel abgeschossen«. Dass ausgerechnet die Jeanne d’Arc der Selbstgerechtigkeit in der Zeit -Annonce gegen Günther Metzger oben auf der
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