Zigeuner
Südosteuropa. »Metalldiebe scheffelten Millionen«, vermeldeten westfälische Zeitungen. Die Polizei im Märkischen Kreis hatte dreizehn »rumänische Staatsbürger« festgenommen, Mitglieder einer mafiösen Bande, die von Dortmunds Nordstadt aus operierte. Rund einhundert Einbrüche, bei denen tonnenweise Kupferkabel und teure Buntmetalle aus Fabriken gestohlen worden waren, wurden der Bande angelastet. Der Erlös der Beute, das belegten Banktransfers, war nach Rumänien geflossen und soll dort in Immobilien investiert worden sein. Für die Deutsche Bahn hat die Plünderei von Eisenbahnschienen, Stromleitungen und Signalanlagen längst Ausmaße angenommen, die nicht nur immense Kosten verursachen, sondern auch die Sicherheit des Zugverkehrs und das Leben von Menschen gefährden. Auch das der Täter. In Ungarn und Rumänien, aber auch in Österreich hatten Roma beim Entwenden von Elektrokabeln oder beim Einbruch in Transformatorenhäuschen tödliche Stromschläge erhalten. In Duisburg starb ein Mann, als er nächtens mit zwei Komplizen in einer stillgelegten Fabrik mit einer Säge ein Stromkabel kappen wollte, nicht ahnend, dass durch den Kupferstrang 10 000 Volt flossen. Die Täter waren rumänische Staatsbürger.
Der tödliche Unfall ereignete sich im April 2011, ein nicht unerhebliches Datum, was die polizeiliche Informationspolitik angeht. Genau einen Monat zuvor, als sich die Meldungen über die Straftaten im Ruhrgebiet überschlugen, hatte der Präsident des deutschen Bundeskriminalamts eine Dienstanweisung erlassen, die ihm einen Auftritt in der fragwürdigen Bild -Zeitungsrubrik »Verlierer des Tages« verschaffte. Dort hieß es:
» BKA -Chef Jörg Ziercke (63) hat seine Kriminalbeamten angewiesen, in Protokollen und bei Fahndungen künftig im Fall der Fälle auf die Täter-Beschreibung ›Roma oder Sinti‹ zu verzichten. Grund: Der ›Zentralrat Deutscher Sinti und Roma‹ findet die Bezeichnung ›rassistisch‹. BILD meint: Und wann benennt sich der Verband um?«
Ich hatte die Nachricht für eine halbernste Stichelei gehalten, vorsichtshalber jedoch beim Landeskriminalamt Düsseldorf nachgefragt, von wo aus mir ein hoher Kriminaler zurückschrieb: »Die Bildzeitung hat recht.«
Der beharrlichen Lobbyarbeit des Zentralrats war damit ein bedeutsamer Erfolg im Kampf um die Begriffe beschieden. Offensichtlich ist die Bezeichnung »Sinti und Roma« im kriminologischen Umfeld dann einwandfrei, wenn Sinti oder Roma die Opfer sind. Sind sie aber die Täter, wird die Bezeichnung diskriminierend. Fritz Greußing, eine der öffentlichen Stimmen des Zentralrats, hatte diesen verbalen Verhaltenskodex schon vor Jahren nicht nur von der Polizei, sondern auch von Journalisten verlangt. Ein Ansinnen, das der deutsche Presserat ablehnte. Greußing forderte: »Es muss Behörden und Medien generell untersagt sein, die Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen oder sexuellen Minderheit zu nennen – es sei denn, es ist für das Verständnis des Sachverhalts zwingend erforderlich.« Zugleich hatte Greußing vorgeschlagen: »Wenn ein Beamter nur eine Buße von 50 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung bezahlen müsste, würde er die Kennzeichnung eines Beschuldigten künftig bleiben lassen.« Und Romani Rose hatte Medienvertretern in Ungarn erklärt, in einem demokratischen Rechtsstaat gelte »das fundamentale Rechtsprinzip, dass für sein Fehlverhalten nur jeder Einzelne verantwortlich zu machen ist, nicht eine Minderheit, Religionsgemeinschaft oder sonstige Gruppe, der er eventuell angehört.« Das sollte so sein. Im Prinzip.
Doch wenn von siebenhundert Rumäninnen und Bulgarinnen, die in der Dortmunder Nordstadt zu Spottpreisen ihre Körper feilbieten, siebenhundert Frauen aus Roma-Familien stammen, dann mag das für Greußing und Rose zum Verständnis des Sachverhalts irrelevant sein. Für die Frauen, die sich im bulgarischen Plovdiv in einen Bus setzen, jedoch nicht. Diese Einsicht unterscheidet den ungarischen Zigeunerbaron Attila Lakatos oder den russischen Lev Tcherenkov von dem deutschen Zentralrat. Die einen verlangen von ihren Leuten eine Änderung ihres Verhaltens und sagen: Hört auf zu klauen, nehmt keine Drogen und prostituiert euch nicht! Der Zentralrat verlangt im Grunde von den Medien: Nennt die Roma nicht Roma, wenn ihr Ungutes zu vermelden habt. Getreu der Konfrontationismustheorie des Ungarn Sandor Györi-Nagy stärkt dieses Denken die politischen Extreme. Da seriöse Debatten über die
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