Zigeunerprinz
Frankreich eintreten würde.
Er zeigte keinerlei Neigung, sich vom Fleck zu bewegen. Es sah vielmehr so aus, als hätte er vor, sich keinesfalls mehr als ein paar Meter vom Eingang zu entfernen. Die Truppe hatte sich wie in einem disziplinierten militärischen Manöver verteilt, so daß sie fast ein Ring von weißen Uniformen umgab. In Roderics und ihrer Nähe hielt sich einer der Zwillinge auf - Jared, vermutete sie -, während hinter ihm Luca bei Juliana stand, die beide mit einem geckenhaften kleinen Mann in lavendelfarbener Weste redeten. Der andere Zwilling, Jacques, plauderte zu ihrer Linken mit einem Prälaten im Bischofsornat. Trude und Estes hielten sich auf der gegenüberliegenden Seite des Kreises auf, kaum voneinander getrennt. Trude unterhielt sich mit einem älteren Roue, und der italienische Graf überhäufte eine Matrone und ihre Tochter mit so absurden Galanterien, daß das Mädchen hinter vorgehaltener Hand kicherte.
Obwohl sie sich vollkommen gelöst gaben, strahlten sie jedoch das Gefühl äußerster Konzentration aus. Die Truppe war auf der Hut, daran konnte es gar keinen Zweifel geben. So wachsam waren sie, so gleichmäßig um den Prinzen und die Tür verteilt, daß Mara spürte, wie sich ihre straffen Nerven noch weiter anspannten. Sie warf Roderic einen kurzen Seitenblick zu und entdeckte, daß er sie aufmerksam beobachtete. Seine Miene war verschlossen, seine Augen hart wie blaues Glas.
Etwas stimmte nicht, das wußte sie mit erstickender Gewißheit. Das Gefühl, in einer Falle festzusitzen, aus der es kein Entrinnen gab, war so stark, daß sie sich nicht zu rühren vermochte.
Von draußen drang nun schwacher Lärm herein, der von der Ankunft mehrerer Kutschen kündete. Louis Philippe und seine Entourage waren eingetroffen. Ein aufgeregtes Flüstern lief durch den Saal. Das Stimmengemurmel wurde lauter und erstarb dann. Die Vicomtesse eilte aus dem Raum, und das Klappern ihrer hochhackigen Schuhe verriet, daß sie die Treppe hinunterlief. Dann hörte man, wie unten eine Tür geöffnet wurde, wie die Gastgeberin mit aufgeregt hoher Stimme eine förmliche Begrüßung aussprach und ihr der König tiefer und langsamer antwortete. Eine Pause entstand, während die Männer und Frauen, die ihn begleiteten, Angehörige seines Hofes und Leibwachen, ebenfalls begrüßt wurden, und schließlich kamen die schweren, gemessenen Schritte des nicht mehr ganz jungen Louis Philippe die Treppe herauf, der, wie es ihm zustand, seiner Gastgeberin und allen anderen vorausging.
Die Musik erstarb. An der Tür entstand jetzt Bewegung, weil die Versammelten Platz machten für die rituellen Hofknickse und Verbeugungen, die beim Erscheinen ihres Souveräns auszuführen waren. Aus dem Augenwinkel erspähte
Mara einen Kellner, der aber in weiße Hosen statt in die schwarzen gekleidet war, die von den anderen Dienern getragen wurden. Er drängte sich vor, als wolle er unbedingt einen Blick auf den König erhaschen, aber eine Hand hatte er unter seiner Jacke versteckt. Er trug keine Bänder oder Tressen auf seiner Jacke, und seine Hose war streifenlos, aber mit der Wucht eines Faustschlags kam Mara die Erkenntnis, daß er fast wie einer aus dem Kader aussah.
In ihrer Brust wurde es eng. Ein roter Schleier senkte sich vor ihre Augen. Jeder Schritt auf den Marmorstufen hallte wie das Knirschen eines Mühlsteins in ihren Ohren. Immer näher kamen sie. Sie konnte die angespannte Konzentration des Mannes an ihrer Seite spüren, seine sprungbereite, raubtierhafte Aufmerksamkeit.
De Landes hatte sich ihr genähert und stand jetzt nur ein paar Schritte von ihr entfernt. Er konzentrierte sich jedoch nicht auf sie, sondern auf die Tür. Er starrte mit einem verzerrten Grinsen auf die Öffnung, während die Schritte lauter wurden, näher kamen und sich verlangsamten, kurz bevor der König den oberen Treppenabsatz erreicht hatte.
Sie hielten inne, näherten sich dann zügig, während Louis Philippe die Galerie überquerte und auf die breite Doppeltür zuging. De Landes warf einen hastigen Blick hinter sich und starrte dann triumphierend auf den Prinzen. Mara, die kein Auge von ihm ließ, hatte bemerkt, daß der düstere Mann erst auf den Kellner geblickt hatte, der inzwischen nur noch wenige Meter entfernt war. In wenigen Sekunden würde der König erscheinen. Schweigen fiel über den Raum, und alle Blicke waren der Tür zugewandt.
Von einem unkontrollierbaren Impuls getrieben, berührte Mara mit der Hand den Arm des Prinzen.
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