Zigeunerprinz
Züge gefielen der Bourgeoisie, aber sie machten ihn jenen verdächtig, die der Auffassung waren, ein König solle sich wie ein König verhalten.
Die Mittelklasse war die größte und einflußreichste Klasse, dank ihres Wohlstandes und des repräsentativen Monopols, das sie in der Assemble ausübte. Dennoch war es ein Fehler, ihre Rechte und Vormachtstellung auf Kosten des Adels und des einfachen Volkes auszubauen. In der Ober-wie in der Unterschicht schmiedete man Komplotte, am eifrigsten aber unter den Radikalen, die sich für die Rechte der Arbeiter einsetzten.
In den letzten Jahren hatte es einige Attentate auf das Leben des Königs gegeben, vor allem eines, das Guiseppe Fieschi mit Hilfe einer »Höllenmaschine« ausgeübt hatte, die aus fünfundzwanzig gleichzeitig feuernden Gewehren bestand. Der König und seine Söhne hatten das Attentat unverletzt überstanden, aber achtzehn Menschen waren umgekommen. Fieschi und die anderen Verschwörer hatte man auf die Guillotine geschickt. Bonapartes Neffe Charles Louis Napoleon hatte zweimal versucht, einen Volksaufstand anzuzetteln. Beim letzten Versuch hatte man ihn verhaftet und zu lebenslanger Gefangenschaft auf der Festung Ham verurteilt, aber vor erst einem Jahr war er, als Arbeiter verkleidet, entkommen und nach England geflohen.
Grandmere Helene hatte, wie die meisten Frauen unter den französischen Kreolen Louisianas, lange Übung darin, Verwandtschaftsbeziehungen nachzuvollziehen, und verstand es deshalb, die komplizierten Genealogien der gegenwärtigen Hauptfiguren im Kampf um den französischen Thron aufzuschlüsseln. Sie hatte die Auseinandersetzung als Rauferei unter Dieben um einen gestohlenen Thron bezeichnet. Louis Philippe, hatte sie erklärt, habe kein Recht, darauf zu sitzen. Er sei lediglich der Urururenkel einer österreichischen Prinzessin und eines italienischen Kardinals und überhaupt kein Bourbone. Wer einen Sinn für alte Geschichten besaß, hatte auch nicht vergessen, daß der zweite Sohn Annes von Österreich, der Prinzgemahlin Ludwigs XIII., nicht vom König, sondern von ihrem Liebhaber, Kardinal Mazarin, abstammte. Was Charles Louis Napoleon betraf, dessen Mutter, Hortense de Beauharnais, hatte sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, mit ihrem tölpelhaften Onkel verhei-ratet zu werden, und laut erklärt, sie würde niemals mit ihm ins Ehebett steigen. Wenn auch ihr erster Sohn vielleicht ehelich gezeugt war, so wurde doch allgemein vermutet, daß ihr dritter Sohn, Charles Louis, der Affäre mit einem berühmten holländischen Admiral entsprungen war. Allerdings hatte Hortense damals so viele Liebhaber gehabt, daß möglicherweise nicht einmal sie selbst den Vater hätte benennen können. Und was schließlich die ältere Bourbonische Linie anging, die von den Legitimisten als einzige königliche betrachtet wurde - deren blaues Blut war schon so oft verwässert worden, daß es müßig gewesen wäre, alle Verunreinigungen einzeln aufzuzählen.
Was würde Grandmere Helene sagen, wenn sie gewußt hätte, worüber sich ihre Enkelin gerade den Kopf zerbrach? Hätte sie die Affäre, in die Mara verwickelt war, so amüsant gefunden wie jene dieser prominenten Persönlichkeiten?
Sie mußte den Prinzen verführen. Das war unvermeidlich. Sie hatte mit ihrem Zaudern und Zögern schon zuviel Zeit verschenkt. Sie hätte die Tat bereits hinter sich bringen können, vermutete sie, wenn sie nur etwas mutiger gewesen wäre.
Zwei Wochen. Sie hatte zwei Wochen, um den Prinzen an sich zu binden, um in sein Bett zu gelangen. Und es reichte nicht einmal aus, seine Mätresse zu werden, sie mußte ihn außerdem noch so bezaubern, daß er sich willig ihren Bitten fügte. Ein leichter Flirt, eine kurze Liaison würden nicht genügen. Dieser einzigartige Mann mußte so von ihr gefangen sein, daß er ihr gern zu Gefallen war und jeden Wunsch erfüllte.
Wie sollte sie das nur anstellen? Wie?
5. Kapitel
Am Nachmittag nach ihren Einkäufen ließ Mara das Dienstpersonal des ruthenischen Hauses Zusammenkommen. Luca, der keine besonderen Aufgaben hatte, befand sich zufällig in dem Salon direkt neben der langen Trainingsgalerie der Truppe, als sie eine Magd mit der Botschaft zu den Dienstbotenräumen im unteren Geschoß schickte. Er kommentierte ihr Verhalten nicht, aber als die Dienstboten in das Zimmer drängten, legte er das Holzstück beiseite, an dem er herumschnitzte, und stellte sich hinter ihren Stuhl.
Mara saß an dem Schreibtisch, den sie in
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