Zigeunerprinz
Essen war ein großer Erfolg. Die Speisen waren perfekt, die Weine, die zu jedem Gang gereicht wurden, delikat. Man brachte einen Trinkspruch auf die Köchin aus, dann einen auf Maras Fähigkeiten als Haushälterin, auf ihr Organisationstalent und auf ihre Schönheit. Man trank auf den Mann, der sie aus der Kutsche gestoßen und sie auf diese Weise zu ihnen gebracht hatte; auf das Land Frankreich, auf dessen Boden man sie gefunden hatte; auf seinen Regenten Louis Philippe; und um der Ausgewogenheit willen und um die Liebe zur Heimat zu beweisen, auf Ruthenien und seinen starken König Rolf. Mara aß nur wenig, mußte aber auf alles trinken, was die Truppe eines Trinkspruches für würdig befand. Langsam begann sich ihre Beklommenheit zu lösen.
Sie erwarteten keine Gäste an diesem Abend. Als der letzte Kuchenkrümel verspeist und der letzte Löffel Creme hinuntergeschluckt war, zog man sich zum Kaffee in den Salon in König Rolfs Flügel zurück statt in den Empfangssalon. Der Raum war kleiner, aber immer noch so groß, daß ein Kamin an jedem Ende untergebracht war und drei verschiedene Sitzgruppen Platz fanden. Die Truppe verteilte sich, manche spielten mit ihren Würfeln, die sie Knöchel nannten, andere setzten sich vor ein Schachspiel. Roderic nahm am Pianoforte Platz und begann zu spielen. Nach kurzem Zögern setzte sich Mara auf einen Sessel vor dem Feuer am anderen Ende des Raumes. Sie war noch nie mit den anderen hier gewesen, und trotz Trudes Anwesenheit, die mitten im Würfelspiel war, fühlte sie sich in der fast ausschließlich männlichen Gesellschaft fehl am Platz.
Das Kaffeetablett mit dem Silberservice, ein Teller mit Keksen und eine Obstschale wurden hereingetragen und vor Mara abgestellt. Nachdem sie Roderics Kaffee eingeschenkt hatte, trug Luca die Tasse zu ihm hinüber. Der Prinz spielte eine leise Melodie - wie Mara glaubte, eine Variante Mozarts über ein ungarisches Volkslied. Die anderen holten sich ihren Kaffee selbst und neckten und frotzelten sich freundlich, während sie ihn tranken.
Mara hatte angenommen, daß die Mitglieder der Truppe gehen würden, nachdem der Kaffee abgeräumt worden war.
Sie blieben. Ihrem Wunsch zum Trotz, sie loszuwerden, widmeten sie sich wieder ihren Spielen. Sie beobachtete sie und versuchte sich zu überlegen, wie sie ihren Anführer vor einer so großen Zuschauerschaft verführen sollte, noch dazu vor einer, die eine solche Vorstellung höchst amüsant finden würde. Es war unmöglich.
Sie warf Roderic einen Blick zu. Das Licht der Kerzen im Kerzenhalter des Flügels ließ sein Haar warm und golden glänzen. Es fiel auf seine hohen, slawischen Wangenknochen und bildete tiefe Schatten um seine Augen. Es fing sich in den feinen blonden Härchen auf seinem Handrücken und warf die Schatten seiner Finger auf die Tasten, so daß sie noch länger und feingliedriger wirkten, als sie in Wahrheit waren. Er spielte immer weiter, als würde er sich gar nicht gewahr werden, was um ihn herum vorging. Mara hatte Grund anzunehmen, daß dieser Eindruck falsch war. Ab und zu schaute er auf, und diese kurzen Blicke waren durchdringend und aufmerksam.
Sie zermarterte sich das Gehirn auf der Suche nach einer Gelegenheit, mit Roderic allein zu sein. Sie konnte sich einen Auftrag für einen aus der Truppe ausdenken, vielleicht sogar für zwei, aber nichts, das sie lange fernhalten würde. Wenn sie die ganze Gruppe auf einmal loswerden wollte, würde der Prinz wahrscheinlich mitgehen. Erwartungsvoll suchte sie nach Anzeichen für Müdigkeit, aber alle wirkten so frisch wie am Morgen. Als erst eine halbe, dann eine ganze Stunde vergangen war, vergaß sie alle Vorsicht.
Sie stand auf und ging zu den Würfelspielern hinüber. »Wie häuslich Sie heute abend sind«, sagte sie und beugte sich über Estes' Schulter, um die Würfel auf dem Tisch erkennen zu können. »Gibt es keine Salons zu besuchen, nichts Neues in der Oper oder der Comedie Francaise? Zeigt Monsieur Dumas keine neue Produktion? Tut er das nicht immer?«
Nebenan blickte Michael von seinem Schachspiel auf. »Ich glaube, sein neuestes Stück ist Le Chevalier de Maison-Rouge in seinem Historischen Theater am Boulevard du Temple.«
»Ich wußte doch, daß es eines geben muß.«
»Er ist immer für ein, zwei Lacher und ein paar Entsetzensschreie gut.« Der Kommentar kam von Trude, deren breites Gesicht ein gewisses Interesse erkennen ließ.
»Ach, ich weiß doch, daß du nur die zärtlichen Liebesszenen magst«,
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