Zigeunerprinz
Gesicht. In Julianas Adern floß Zigeunerblut, wenn man Roderic Glauben schenken konnte, und vielleicht reagierte es auf die schweigende Bewunderung. Auf jeden Fall war sich die Prinzessin seiner bewußt, denn hin und wieder schaute sie zu Luca herüber, und dann verzog sich ihr Mund zu einem heimlichen Lächeln.
Auch Mara hatte sich von den anderen abgesondert, bis sich Dumas der Jüngere zu ihrem Stehplatz vor einem der beiden Kamine gesellte. Er legte eine Hand auf den marmornen Kaminsims und lehnte sich dagegen, während er seinen Rockschoß zurückschob, um die andere Hand in die Tasche stecken zu können. »Man sagt, Mademoiselle Incognito, daß Sie die Mätresse Prinz Roderics geworden seien. Ist das wahr?«
»Was für eine unverschämte Frage!« antwortete sie, um einen leichten Ton bemüht.
»Sie leugnen es nicht, also muß es wahr sein. Ich möchte Sie nur warnen; das Leben einer Kurtisane, la vie galante, ist weder so leicht noch so aufregend, wie es erscheinen mag.«
Er sagte das mit vollkommenen Ernst und meinte es zweifellos auch so; trotzdem war sie nicht in der Stimmung für eine Moralpredigt. »Sie haben offen gesprochen, deshalb wird es Sie nicht überraschen, wenn ich Ihnen sage, daß ein solcher Rat eigenartig aus dem Munde eines Mannes klingt, der, so sagt man, sich jahrelang die Geliebten mit seinem Vater teilte.«
Er zuckte mit den Achseln. »Ich hatte einst das Privileg, die Geliebten meines Vaters aufzutragen und seine neuen Schuhe einzutragen. Beide Gewohnheiten habe ich abgelegt.«
»So, so«, sagte sie höflich und sah sich nach einer Möglichkeit um, sich zurückzuziehen.
»Ich habe kein Recht, so mit Ihnen zu sprechen, das weiß ich, aber Sie erinnern mich sehr an jemanden, den ich einst kannte. Man nannte sie Marie Duplessis, aber in Wahrheit hieß sie einfach Alphonsine Plessis.«
»Was?«
»Sie starb vor nicht langer Zeit an einer Lungenkrankheit. Sie war dreiundzwanzig.«
»Sie standen ... ihr nahe?«
Der Schatten von Schmerz fiel auf sein Gesicht. »Wenn Sie damit fragen wollen, ob sie meine Mätresse war: nein. Wir liebten uns, aber ich konnte es mir nicht leisten, sie zu unterhalten. Sie schwirrte davon, wurde der Liebling anderer Männer, das Juwel von ganz Paris. Aber das Leben zwischen Kamelien, Diamanten und Pelzen ist von kurzer Dauer. Mit zunehmendem Alter werden die Frauen besitzergreifend und ängstlich, oder eine Krankheit rafft sie dahin. Sie gehören dort ebensowenig hin wie Alphonsine. Sie sollten dahin zurückkehren, wo sie hergekommen sind, eine Bauersfrau, eine Nonne, ein altes Weib werden - alles, nur nicht das.«
Mara schaute mit düsterem Blick zu ihm auf. »Das würde ich«, sagte sie, »wenn ich könnte. Würden Sie mich jetzt bitte entschuldigen?«
Sie ging davon und hielt nicht an, ehe sie aus dem Raum war. Immer noch hallten die Worte von Dumas dem Jüngeren in ihren Ohren. Sie hätte sie nicht zu hören brauchen, um zu wissen, welches Risiko sie einging; sie war sich von Anfang an darüber klargewesen. Draußen im Hauptgang lehnte sie sich mit dem Rücken an die Wand neben der Tür und schloß die Augen. Was sollte aus ihr werden, wenn ihre Verbindung mit dem Prinzen bekannt wurde? Selbst wenn sie und ihre Großmutter erzählen würden, was wirklich vorgefallen war, wer würde ihnen glauben? Es klang so unwahrscheinlich.
Sie machte sich wenig Illusionen. Bald wäre sie überall als Mätresse des Prinzen bekannt. Sobald die Kunde davon New Orleans erreicht hätte, würden sie vielsagende Blicke und das Kichern hinter ausgebreiteten Fächern verfolgen. Man würde glauben, sie habe jenen fatalen Fehltritt begangen, vor dem man alle jungen Frauen warnte. Unausweichlich würden manche behaupten, sie hätten das nicht anders erwartet, nachdem ihr Vater sie so verwöhnt und sie sich so liederlich benommen habe.
Was blieb ihr anderes übrig, als in Paris zu bleiben und genau das zu werden, wofür man sie bereits hielt? Als sie Louisiana verlassen hatte, hätte sie sich nie träumen lassen, daß sie dazu bestimmt war, eine Kurtisane zu werden, ein vie galante zu leben, um den Männern zu gefallen.
Es schien keinen Ausweg zu geben. Unverschuldet war sie in diesen Morast von Lügen und Täuschung geraten. Nun war sie darin gefangen.
Sie drückte sich von der Wand ab und ging in Richtung ihrer Zimmer. Die Treppengalerie über dem Eingang mit den Fenstern zu beiden Seiten war kalt. Sie schlang die Arme um ihren Leib und beeilte sich. Als sie an die
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