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Zigeunerprinz

Titel: Zigeunerprinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Blake
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Stelle kam, wo die Treppengalerie mit dem Nord-Süd-Gang ein Andreaskreuz bildete, wandte sie sich nach links und durchquerte drei selten genutzte Räume, die in den Privatsalon und zu der langen Galerie führten, wo sich die Truppe meist aufhielt. Sie wandte sich nochmals nach links, um zu dem Vorzimmer zu gelangen, in dem die Dienstbotentreppe untergebracht war und von dem aus man in ihre Suite oberhalb des Westhofes gelangte.
    Die Tür zu dem Vorzimmer schloß sich gerade, als sie näher kam. Sie dachte sich nichts dabei, vermutete lediglich einen Dienstboten bei der Arbeit. Sie drückte die Klinke nieder, stieß in ihrer Eile mit einer schnellen Bewegung die Tür auf und trat ein.
    Roderic wirbelte herum, duckte sich und zog mit einer blitzschnellen, geschmeidigen Bewegung einen Dolch aus seinem Gürtel. Sie blieb wie angewurzelt stehen und unterdrückte einen Aufschrei. Er fluchte ausgiebig und lang. Hinter ihm trat ein Mann aus dem Schatten.
    »Stellen Sie mich vor, mein lieber Prinz. Eine Dame, die Ihrem gezückten Dolch gegenüberstehen kann, ohne zu schreien, muß ebenso diskret sein, wie sie lieblich ist.«
    Es war Charles Louis Napoleon, Prinz Louis Napoleon, wenn man ihn mit dem richtigen Titel ansprach, der Neffe Napoleons I. und der bonapartische Thronfolger Frankreichs. Mit diesem Mann hatte Roderic seit dem Abendessen eine Unterredung. Sie reichte ihm die Hand und knickste, als er sich darüber verbeugte. Er gab ihre Finger nicht wieder frei, sondern hielt sie sanft fest, während er sie musterte. Sie schaute ihn ebenso offen an und versuchte sich zu überlegen, was für Geschäfte er mit Roderic treiben könnte. Er war kein einnehmend aussehender Mann, mittelgroß, mit schmalen Schultern und dünnem braunem, leicht gewelltem Haar. Sein Schnauzer und sein kleiner Bart waren sauber gestutzt, und er trug einen dunkelbraunen Frack und eine mittelbraune Weste zu schwarzen Hosen. Am eindrucksvollsten waren seine Augen. Sie waren dunkel und wäßrig, überschattet, als wollte er seine Gedanken abschirmen, und von ruhiger Entschlossenheit.
    »Sehr erfreut... Chere, nicht wahr?«
    »Ich hatte keine Ahnung, daß Sie in Frankreich sind, Hoheit.«
    »Die hat niemand. Ich bin immer noch, wie schon seit einigen Jahren, persona non grata hier, deshalb verabschiede ich mich auch durch die Hintertür. Diese Furcht vor mir wäre fast schmeichelhaft, wenn sie nicht so viele Umstände machen würde.«
    Aus dem Augenwinkel bemerkte sie die schnelle, entschlossene Bewegung, mit der Roderic seinen Dolch zurücksteckte. Mit finsterer Miene beobachtete er sie beide. Sie sagte zu Louis Napoleon: »Dann sind Sie in Gefahr. Ich darf Sie nicht aufhalten.«
    »Ja.« Er seufzte bedauernd. »Aber es wäre das Risiko bestimmt wert, wenn Sie es täten.«
    Er war galant und besaß einen Blick für schöne Frauen; daran konnte es keinen Zweifel geben. Doch sprach er mit so charmanter Schüchternheit, daß man sich nicht bedroht fühlte. Wie leicht, dachte sie, könnte er eine Frau in falscher Sicherheit wiegen. Sie lächelte. »Gestatten Sie mir, Ihnen eine glückliche Reise zu wünschen.«
    »Das müssen Sie wohl. Wie bedauerlich.«
    Roderic beobachtete sie. Langsam zwang er sich dazu, den Griff um den Dolch zu lösen. Es wäre kaum angebracht, das Blut des bonapartischen Thronfolgers auf seiner Türschwelle zu vergießen. Mit sarkastischem Humor erkannte er, was ihn antrieb. Eifersucht. Wie hatte sie so schnell von ihm Besitz ergreifen können? Wie hatte das geschehen können, wo er sich doch mit Zynismus und Mißtrauen dagegen gewappnet hatte? Doch das wie war nicht länger wichtig. Er hatte einer namenlosen Frau gestattet, sich unter seiner Haut einzunisten, sich in sein Herz zu schleichen. Er würde sie herausreißen müssen, denn sie war nicht mehr namenlos.
    Mara, dachte er und probierte das Wort im Geiste aus, verglich es mit der Wirklichkeit vor seinen Augen und fragte sich, ob er es laut ausgesprochen hatte, als sie ihm einen schnellen, nervösen Blick zuwarf. Nein, sie warteten nur auf seinen Einsatz; er mußte den Gastgeber spielen und seinen Gast durch den Dienstboteneingang hinausbegleiten. Wortlos bedeutete er Louis Napoleon, ihm voranzugehen, dann folgte er dem anderen Mann geschwind die Treppe hinunter.
    Mara ging nicht zu Bett. Sie schritt auf und ab, versuchte Sinn in das zu bringen, was um sie herum geschah. Roderic war ein Prinz, ein Thronerbe, und sollte eigentlich daran interessiert sein, daß sich die Monarchie

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