Zigeunerprinz
mit einem Mann poussiert oder eine Verabredung zu einem Ball hat.«
»All das reizt mich kein bißchen«, erklärte Trude steif. »Dann sind Sie wirklich keine richtige Frau mehr. Mein Bruder wird einige Fragen zu beantworten haben.«
»Es ist nicht sein Fehler. Nicht alle Frauen wollen das. Nicht alle Frauen erstreben Bewunderung und Liebäugeleien.«
»Woher wollen Sie das wissen, wo Sie beides nie kennengelernt haben?«
»Ich weiß es. Ich bin glücklich, so wie ich bin.«
»Sie verstehen nicht -«
»Verzeihen Sie, Prinzessin Juliana«, versuchte es Estes noch einmal. Das schmale Gesicht hinter dem Bart war ernst. »Sie verstehen nicht. Manche Frauen haben andere Bedürfnisse als andere, kennen andere Erfüllungen «
»Außerdem«, sagte Trude, »wäre ich dem Prinzen kaum von Nutzen, so in Röcke eingeschnürt.«
»Wenn Sie das um seinetwillen tun -«
»Es ist kein Opfer. Es ist meine Pflicht, Prinz Roderic und der Truppe gegenüber. Sie verlassen sich auf mich.«
Es war die Quelle für Trudes Stolz, dachte Mara, daß sie gebraucht wurde. Es schien ihr zu genügen, vorläufig jedenfalls. Außerdem hatte Trude einen Mitstreiter gewonnen. Denn die Walküre und der italienische Graf standen beisammen und unterhielten sich leise, als sie und Juliana den Raum verließen.
Die Tage verflogen mit atemberaubender Geschwindigkeit. Das Wetter war weiterhin grau und trübsinnig und kalt. Regen, manchmal auch Hagel fiel. Trotzdem riß die Parade der Besucher nicht ab: von Berühmten, von Berüchtigten, von Wichtigen und von Unbekannten. Ständig saßen zwischen zwanzig und dreißig Menschen abends am Eßtisch, und sie blieben oft bis tief in die Nacht. Aber wenn sie gegangen waren und sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, zog sich Roderic in seine Gemächer zurück und nahm Mara mit. Langsam sammelten sich ihre Habseligkeiten in seinen Zimmern an, und ebenso langsam gewöhnte sie sich daran, sich vor ihm an- und auszuziehen, seine Liebkosungen anzunehmen, sich zu ihm in das große königliche Bett zu legen. Sie begann zu glauben, daß er nicht nur physische Befriedigung bei ihr suchte, sondern daß er sich in ihrer Gesellschaft von den Pflichten und Verpflichtungen erholte, die ihn in jedem wachen Augenblick beanspruchten.
Stück für Stück erzählte er ihr von sich, und Mara glaubte, im Geiste das flachshaarige Wickelkind vor sich zu sehen, das er gewesen war, den wilden Rangen, der immer wieder mit seinem energischen Vater über Kreuz geriet und immer wieder von seiner Mutter, der lieblichen und gütigen Angeline, verteidigt wurde. Sie konnte die Berge und bewaldeten Täler Rutheniens vor sich sehen, die schnell strömenden, eisigen Flüsse, die kleinen Dörfer und ummauerten Städte mit den uralten Brücken, deren Geländer von den Standbildern irgendwelcher Heiliger gesäumt waren, die genausogut die Ebenbilder vergangener Könige und Königinnen sein konnten.
Manchmal versuchte er, sie mit einer Frage nach ihrer eigenen Vergangenheit, ihrer Kindheit zu übertölpeln. Sie war jedoch inzwischen in Ausflüchten und im Gebrauch eines schweigenden Lächelns geübt, wenn es ihr in Wahrheit auch manchmal schien, als hätte sie keine erinnerungswürdige Vergangenheit mehr. Es kam ihr so vor, als hätte sie schon immer hier mit dem Prinzen und seinem Gefolge im ruthenischen Haus gelebt. Als hätte sie schon immer nackt in Roderics Armen geschlafen und würde das immer tun. Es war gefährlich, sich solche Gefühle zu gestatten, das wußte sie, aber sie konnte nicht dagegen an.
Schließlich kam der Abend des Balles. Die Kleider, die Mara und Juliana bestellt hatten, waren am Tag zuvor geliefert worden und Maras hing im Schrank in Roderics Ankleidezimmer. Ihre Unterkleider waren bereitgelegt worden, zusammen mit den Seidenstrümpfen und den weißen Satintanzschuhen mit dem Perlenbesatz auf den Zehen. Sie hatte frühzeitig gebadet, damit ihr Haar genügend Zeit zum Trocknen hatte. Lila hatte ihr die Nägel gefeilt und sie rosa glänzend poliert. Sie sollte sich eigentlich ausruhen, auf einer Chaiselongue in Roderics Schlafzimmer liegen. Statt dessen saß sie vor dem Feuer, starrte in die Flammen, die Hände vor sich gefaltet, und versuchte, nicht zu denken.
Dies war die entscheidende Nacht. Es war der Abend, auf den sie seit Wochen all ihre Kräfte gerichtet hatte, der Abend des Balles, der Abend, an dem sie den Prinzen de Landes in die Hände spielen würde. Sie hatte ihre Rolle gespielt. Ihre Aufgabe war
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