Zigeunerprinz
»Warum sollte es sie nicht reizen? Der
König und alles, was Rang und Namen hat, wird kommen. Außerdem hat Chere sich ständig für dich abgearbeitet, seit du sie aus einem ländlichen Straßengraben gezogen hast. Natürlich will sie sich amüsieren.«
»Es ist wirklich zu schade«, erklärte Roderic mit einem langen Blick auf seine Schwester, »daß Louis Philippe letztes Jahr die Heirat des Duc de Montpensier mit der Infanta Maria Luisa arrangiert hat; Montpensier wäre der Richtige für dich gewesen. Der Comte de Paris ist noch recht jung, erst sieben, aber er ist der Thronfolger, und das gleicht manches aus. Ich muß mit unserem Vater über einen passenden Kandidaten für dich sprechen. Seit Arvins Abreise mangelt es dir an Beschäftigung - du mischst dich ständig in Sachen, die dich nichts angehen.«
Juliana zog eine Braue hoch. »Ich würde mich an deiner Stelle vorsehen, wenn ich mit Vater über eine Heirat spräche. Er könnte auf die Idee kommen, Ausschau nach einer geeigneten Prinzessin für dich zu halten.«
»Dieses Damoklesschwert hat schon Rost angesetzt. Er hat eine Liste möglicher Verbindungen, seit ich zum erstenmal als rotköpfiges und greinendes Kleinkind von meinem Kindermädchen der Gesellschaft vorgestellt wurde.«
»Vielleicht bist du bislang dem Schicksal der Prinzen -einer lieblosen Ehe - entgangen, aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Wie der kleine Comte von Paris bist du der Thronfolger.«
»Deine Fürsorge rührt mich. Könntest du nun gehen, damit ich in Ruhe mit Chere sprechen kann?«
»Damit du sie in Ruhe davon überzeugen kannst, daß sie keinesfalls auf einen Ball gehen möchte? Nein, weißt du, auch ich würde mich über etwas Fröhlichkeit und Musik freuen. Ihr seid alle viel zu langweilig hier!«
»Sind wir das wirklich?« fragte Roderic milde.
Juliana warf ihm einen erschrockenen Blick zu. »Damit wollte ich dich nicht herausfordern, wirklich nicht! Aber ich glaube, Chere würde von etwas Abwechslung profitieren, und wer weiß? Vielleicht findest du ja jemanden, der diese mysteriöse Dame identifizieren kann.«
»Was äußerst wünschenswert wäre«, kommentierte ihr Bruder, aber seine Stimme klang ausdruckslos.
»Das«, sagte Juliana, an Mara gewandt, »war eine Kapitulation, falls Sie es nicht erkannt haben. Was also werden wir auf diesem Ball tragen? Wir müssen uns sofort entscheiden und gleich zum Modisten, wenn die Kleider noch rechtzeitig fertig werden sollen.«
Es war zu leicht gewesen. Mara hatte erwartet, alle Tricks anwenden zu müssen, die sie kannte, jedes Argument Vorbringen und vielleicht sogar betteln zu müssen. Statt dessen hatte sich der Prinz ohne große Umstände einverstanden erklärt. Genau das hatte sie gewollt, hatte sie gebraucht; dies war ihr wichtigstes Ziel gewesen. Aber trotzdem bereitete es ihr Unbehagen, daß sie es so leicht erreicht hatte.
Es war nicht Roderics Art, sich so schnell umstimmen zu lassen. Er hatte nicht beabsichtigt, der Einladung zu dem Ball Folge zu leisten. Sie nahm nicht an, daß er ihrem Wunsch nur wegen ihrer Umarmungen oder aufgrund der Argumente seiner Schwester entsprochen hatte. Was also bezweckte er damit?
Sie versuchte, sich zu schelten, sich einzureden, daß er überhaupt nichts damit bezweckte, daß ihr Bild von ihm -das eines Mannes mit diabolischen geistigen Fähigkeiten -nur Einbildung war. Es half nichts. Sie wurde den Verdacht nicht los, daß sie selbst, statt den Prinzen in eine Falle zu locken, schon in die nächste gegangen war.
Der Einkaufsbummel war ein Erfolg. Mara hatte befürchtet, Juliana könnte darauf bestehen, zu Madame Palmyre zu gehen. Aus diesem Grund hatte sie darum gebeten, zuerst im Maison Gagelin abgesetzt zu werden, und sich, sobald sie den Stoffladen betreten hatte, gleich an den Verkäufer namens Worth gewandt. Sie wollte sich mit ihm über das Material und die Farbe ihres Kleides beraten, aber vor allem wollte sie, daß Juliana seine Einwände gegen übertriebenen Pomp kennenlernte.
Worth hatte sie nicht enttäuscht. Er hatte einen schweren, steifen meerblauen Satin gebracht, der Julianas Haut durchsichtig wie feinstes Porzellan aussehen ließ und ihren Augen unglaubliche Tiefe und Glanz verlieh. Er hatte ihr auch ein Kleid mit verlängertem Mieder skizziert, das ihre königliche Größe und vollendete Gestalt zu voller Geltung bringen würde, ohne sie unter Rüschen und Rosetten oder Spitzenbesätzen und Klumpen von Seidenblumen zu begraben.
Mara hatte er zu einem
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