Zigeunerprinz
vollbracht, sobald sie an Roderics Arm die Residenz der Vicomtesse Beausire betreten hatte. Was danach geschah, lag außerhalb ihrer Verantwortung. Trotzdem wünschte sie sich mit glühender Inbrunst, sie wüßte, was dann passieren würde. Es bestand die Möglichkeit, daß Roderic öffentlich bloßgestellt würde, auch wenn sie keine Ahnung hatte, wie das geschehen sollte. Sie dachte an die Möglichkeit eines Attentats oder an seine Verhaftung und Anklage als Führer des Todeskorps, selbst an Gefangenschaft und Folter.
Sie versuchte, sich ein optimistischeres Ende einzureden, eine überraschende Ehrung, eine Auszeichnung oder vielleicht heimlicher Nachforschungen angesichts einer bevorstehenden Allianz zwischen Frankreich und Ruthenien. Letzte-res war unwahrscheinlich. Die Töchter Louis Philippes waren bereits verheiratet, und seine Enkelinnen lagen noch in der Wiege. Und was eine Ehrung oder Auszeichnung betraf - dafür hätte eine einfache Einladung des Königs in die Tuilerien genügt.
Nichts schien einen Sinn zu ergeben. Das Grauen vor dem, was geschehen mochte, ließ sie innerlich frieren. Sie streckte ihre Hände den Flammen im Kamin entgegen und war nicht überrascht, als sie sie zittern sah.
Die Tür öffnete sich hinter ihr, und Mara hörte Roderics weichen, gleichmäßigen Schritt. »Sie grübeln im Finstern? Eine sinnlose Beschäftigung, wenn es auch Menschen gibt, die das gern tun, wie man mir versichert hat.«
Sie blickte auf und schaute zum Fenster. Es war wirklich schon dunkel geworden. Sie stand auf und wandte sich ihm zu. »Ich habe gewartet, daß es endlich Zeit wird, mich für den Ball anzukleiden.«
»Anscheinend war es kein fröhliches Warten. Sie brauchen nicht zu gehen, wenn Sie Ihre Meinung geändert haben.«
Der Impuls, die angebotene Entschuldigung anzunehmen, war stark. Wenn sie einfach mit ihm zu Hause bliebe, dann konnte ihm nichts geschehen. Er wäre in Sicherheit. Im Gegensatz zu ihrer Großmutter.
»Juliana wäre enttäuscht«, sagte sie und rang sich ein Lächeln ab.
»Sie würde es überleben.«
Würde er die Nacht überleben? Dies war die Wurzel ihrer schrecklichen Ängste. Sie mußte auf den Ball gehen und er ebenfalls, aber vielleicht würde alles eine gute Wendung nehmen, wenn er gewarnt war. Sie trat vor und legte ihre Hand auf seinen Arm. »Roderic«, setzte sie an und verstummte dann.
»Sagen Sie, was Ihnen auf dem Herzen liegt«, forderte er. Seine Stimme klang fast drängend.
Sie starrte ihn mit großen Augen an. Er war so vital, so energiegeladen, selbst wenn er einfach so dastand und den Kopf zu ihr herabneigte. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, daß er unvorbereitet in diesen Ballsaal schritt, aber wie sollte sie ihn warnen ? Sie konnte es nicht. Sobald sie zu erklären begann, warum er sich vorsehen sollte, würde ihr nichts anderes übrigbleiben, als ihm alles zu offenbaren. Das Risiko war zu groß. Es war unmöglich.
»Nichts«, sagte sie, ließ ihre Hand von seinem Ärmel rutschen und wandte sich ab.
Er beobachtete sie, beobachtete den dunklen Seidenschleier ihrer Wimpern, beobachtete, wie sich der Schein des Feuers in den schwarzen, glänzenden Wogen ihres Haares brach, das über ihren Rücken floß, als sie sich von ihm entfernte. Er atmete tief ein. Seine Brust war eng vor Enttäuschung. Einen kurzen Augenblick hatte er geglaubt, sie würde ihm vertrauen, sich ihm anvertrauen. Das Bedürfnis hatte sie gehabt, dessen war er sicher.
Trotzdem war das ein Zeichen, wenn er denn eines gebraucht hätte. Dies war die entscheidende Nacht. Von dem Augenblick an, in dem der Ball zum erstenmal erwähnt worden war, hatte er das vermutet. Er hätte nicht sagen können, was ihn alarmiert hatte. Vielleicht war es eine Art siebter Sinn, vielleicht hatte er auch nur bemerkt, wie steif Mara damals plötzlich geworden war, als wäre dieser Ball von großer Wichtigkeit.
So sei es. Schon seit einiger Zeit waren seine Pläne bereit. Er hatte versucht, alle Eventualitäten zu berücksichtigen, und mußte darauf vertrauen, daß ihm das gelungen war. Mehr konnte er nicht tun.
Trotzdem war der Impuls unwiderstehlich, auf irgendeine Weise seinen Verdacht zu bestätigen, ihr Vertrauen zu erzwingen. Er trat näher an sie heran und legte seine Hand auf ihre Schulter. »Geht es Ihnen wirklich gut?«
Die ruhige Nachfrage mit dem Beiklang ernsthafter Sorge war beinahe zuviel für Mara. Sie schluckte schwer und drehte sich dann mit breitem Lächeln zu ihm um.
»Aber ja.
Weitere Kostenlose Bücher