Zigeunerprinz
äußerst feinen weißen Seidenchine mit einem Hauch von Rosa in den Falten geraten und ein kompliziert gefälteltes Mieder vorgeschlagen, das ihre Taille noch dünner als die sechzig Zentimeter wirken ließ, die sie normalerweise maß. Außerdem hatte er ihnen eine Modistin empfohlen, eine ehemalige grisette, welche die feinen Materialien korrekt zuschneiden würde und nicht so überlastet war, daß sie die Kleider nicht rechtzeitig fertigstellen könnte. Da Juliana darauf bestand, hatte er ihr mehrere Reiherfedern verkauft, die sie zu einem passenden Kopfschmuck für ihr Kleid umfärben konnte, aber Mara hatte er davon überzeugt, daß sie nicht mehr brauchte als ein oder zwei rosa Rosenknospen in ihrem dunklen Haar. Als der Engländer mit seinem reizenden Akzent sie mit einer Verbeugung verabschiedet hatte, hatte Juliana ihn als äußerst charmant deklariert und ihm geschworen, ihn wieder zu besuchen.
Sie waren zur Kutsche zurückgekehrt, und Juliana hatte den Befehl gegeben, sie zu einem Schuster zu bringen, der für seine Tanzschuhe bekannt war. Plötzlich sagte Roderics Schwester: »Wissen Sie, wir hätten Trude mitnehmen sollen.«
»Sie meinen -«
»Ich meine, es wird Zeit, daß sie aufhört, den Mann zu spielen. Unter der Uniform steckt ein Frauenkörper und schlägt ein Frauenherz. Ganz bestimmt möchte sie nicht in Hosen auf einen Ball gehen?«
»Vielleicht doch. Bei Trude ist das schwer zu sagen«, wandte Mara ein.
»Sie ist nicht sehr offenherzig, das gebe ich zu, und mit Ihnen noch weniger, aus leicht erklärbaren Gründen.«
»Sie meinen, weil ich jetzt die Zimmer Ihres Bruders teile«, erklärte Mara, entschlossen, den Tatsachen ins Auge zu blicken.
»Natürlich«, meinte Juliana ungeduldig. »Sie folgt Roderic bereits ihr ganzes Leben auf den Fersen, und er hat das zugelassen, weil er sie mag und nicht möchte, daß sie verletzt wird, und weil - das muß man zugeben - sie ihm nützlich ist. Wenn sie sich nur gestattete, eine Frau zu sein, würde sie vielleicht erkennen, daß es auch andere Männer auf der Welt gibt.«
»Vielleicht. Aber würde das etwas ändern?«
»Wir werden das nie erfahren, wenn wir ihr nicht irgendwie helfen.«
»Dazu braucht man einige Überredungskünste«, sagte Mara.
»Die habe ich«, erklärte Juliana schlicht.
»Ja. Ich habe Ihnen noch gar nicht dafür gedankt, daß Sie Roderic überredet haben, Sie - uns - zu diesem Ball mitzunehmen.«
»Sie glauben, er hat das meinetwegen getan?« Juliana schüttelte den Kopf, und ein Lächeln spielte um ihren Mund.
»Was für eine bescheidene Frau Sie sind, Chere.«
Mara warf ihr einer kurzen Seitenblick zu und schaute gleich wieder weg. »Stört es Sie, daß ich die Geliebte Ihres Bruders bin?«
»Ob es mich stört? Warum sollte es das? Aber nein, Sie sind gut für ihn. Ich habe ihn noch nie so in Anspruch genommen gesehen. Ihm ist immer alles leichtgefallen - er sieht gut aus, besitzt Intelligenz, Kraft, unbegrenzte Fähigkeiten, hat eine gute Abstammung, immense Ressourcen, eine hingebungsvolle Mutter und einen Vater, der sich trotz seiner hohen Erwartungen um ihn sorgt. Er hat viele Frauen gehabt, die kaum oder gar keinen Widerstand aufbrachten; die so oberflächlich waren, daß sogar ein Kind sie durchschaut. Sie dagegen entziehen sich ihm. Sie haben keine Vergangenheit, keine Zukunft, nur die Gegenwart. Er kann Sie nicht durchschauen, kann Ihre Gedanken nicht erraten, und das fasziniert ihn. Vielleicht ist es schade, wenn Sie Ihr Gedächtnis wiederfinden.«
Wollte Juliana andeuten, daß ihre Anziehungskraft auf Roderic schwinden würde, sobald er wußte, wer und was sie
war? Es machte keinen Unterschied, bald würde sie ihn ohnehin verlassen, gleich nach dem Ball. Trotzdem versetzte ihr der Gedanke einen eigenartigen Stich im Herzen.
Trude lehnte ein Ballkleid ab. Zu voller Größe aufgerichtet und Juliana eine Handbreit überragend, erklärte sie: »Ich gehöre zur Truppe. Ich brauche mich hinter keinem Rock zu verstecken.
»Zu verstecken!« rief Juliana zornig aus. »Sie würden sich nicht dahinter verstecken, sondern zeigen, daß Sie eine Frau sind.«
»Ich bin eine Frau, mit oder ohne Rock.«
»Ja, aber -«
»Drängen Sie nicht weiter, bitte, Prinzessin Juliana.«
Estes sagte das. Er war ans Ende der Galerie gekommen, wohin Juliana und Mara Trude verschleppt hatten.
Juliana wandte sich zu dem Italiener um. »Dann überzeugen Sie sie! Sie hat keine Ahnung, was sie verpaßt, wenn sie niemals tanzt oder
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