Zigeunerstern: Roman (German Edition)
Würdest du das tun?«
Chorian starrte mich voll Entsetzen an.
»Ich bin durch starke Loyalitätsbande an den Herrn Sunteil gebunden, und das weiß er. Aber ich würde niemals die Geheimnisse des Königs der Roma an ihn ausliefern, für gar keinen Preis! Niemals! Niemals!«
»Sogar dann nicht, wenn ich das von dir verlangte?«
»Was?«
»Schau mal«, sagte ich zu ihm, »Sunteil liegt völlig falsch mit seinem Argwohn mir und meinem Aufenthalt hier draußen gegenüber, und es bringt absolut niemandem Nutzen, wenn er sich weiterhin von solchen Flöhen im Hirn beißen lässt! Ich möchte, dass du ihm die Wahrheit über meine Abdankung berichtest. Daraus kann keiner dir einen Verrat an mir anhängen. Du hast doch Reichsgeld für diesen Auftrag angenommen, nicht wahr? Na also, dann gib dem Reich, wofür es bezahlt hat! Geh zurück und bring dem Herrn Sunteil bei, dass er sich keine schlaflosen Nächte machen soll meinetwegen, denn ich werde nicht zurückkommen, und ich werde ihm keinen Ärger machen. Mir ist jegliches Interesse an Macht abhanden gekommen. Vollkommen.«
Gerechter Himmel, was konnte ich damals dick auftragen! Aber damals, in jenem Augenblick, da glaubte ich jedes Wort, das ich aussprach. Im Übrigen ist dies das Erste Gebot für Lügner, wenn sie Erfolg haben wollen: Glaube fest an den Quatsch, den du verzapfst – oder es glaubt ihn auch sonst keiner! Und in diesem Augenblick damals, da war ich so handfest und nusshart davon überzeugt, dass ich mit dem Königsein fertig war, wie ich wusste, dass mir zwischen den Schenkeln die runden Symbole meiner Männlichkeit baumelten. Vor fünf Minuten noch hatte ich ganz und gar nicht dieses Gefühl der Interesselosigkeit an der Macht gehabt; und fünf Minuten später würde ich wahrscheinlich auch wieder ganz anders darüber denken. Aber in diesem Augenblick war das, was ich aussprach, das, was ich aus der tiefsten Tiefe meines Herzens glaubte.
Chorian stand vor mir und glotzte mich auf seine hingerissene Art mit offenem Maul an, ganz als verschlinge er kritiklos jede Silbe dieses Unsinns, den ich da absonderte.
Ich sprach pompös weiter: »Ich hab mir den Wanst damit vollgeschlagen, mein Junge, und ich hab die Macht satt, endgültig. Für mich, da ist diese ganze Machtscheiße nur noch so was wie ein ausgepisstes Feuer. Für mich ist die Zeit gekommen, wo ich das endgültig hinter mir lasse. Ich habe beschlossen, auf Mulano zu leben. Und wenn der Herr Sunteil eine Ahnung hätte, wie exzellent die Fischgründe hier sind, dann würde er mich sicher verstehen.«
Ein hübscher geschickter Schnörkel zum Abschluss, fand ich.
Doch Chorian war bei weitem nicht so einfältig, wie ich das bis dahin angenommen hatte.
»Sicher, das werde ich dem Herrn Sunteil berichten«, sagte der Junge mit honigschmelzender Stimme, als ich fertig war. »Aber soll ich das gleiche auch deinem Vetter Damiano berichten?« Mit dem Ausdruck völliger Unschuld im Gesicht, nichts weiter als ein hübscher harmloser Botenjunge, der für ranghöhere Sippenmitglieder einen Auftrag durchführt. »Dass du nicht planst, ins Reich zurückzukehren? Obwohl unter den Roma große Unruhe herrscht, weil es schon so lang keinen König mehr gibt? Obwohl gerade du der Mann bist, der am besten dazu befähigt ist, der Krise ein Ende zu bereiten?«
4
Und damit hatte ich nun wirklich nicht im entferntesten gerechnet. In meiner Verblüffung hämmerte ich dermaßen hart auf die Tasten, dass das Netz mit der Reusenöffnung abwärtskippte, und zwar gerade in dem Augenblick, da ein schlank-eleganter Würzfisch sich für den Zugang zu interessieren begann. Eigentlich hätte mir ja schon früher dämmern müssen, dass sich die Geschichte als weit weniger unkompliziert herausstellen würde, als es anfänglich den Anschein hatte. Und überhaupt – für wen arbeitet der Junge da denn nun wirklich?
»Damiano?«, kläffte ich ihn an. »Was hat der denn mit dem Ganzen zu tun? Und wann und wo hast du mit meinem Vetter Damiano gesprochen?«
»Auf Marajo, vor der Stadt der Sieben Pyramiden. Ich sagte ihm, dass der Herr Sunteil mich auf deine Spur angesetzt hat, und er sagte: Ja, geh du nur und finde den König und sage ihm, dass sein Thron auf ihn wartet!«
Mein Herz begann unangenehm zu hämmern.
Ruhig, nur ruhig! Wie ich es verabscheue, wenn da in meinen alten Knochen auf einmal die Alarmsignale zu klingeln beginnen! Doch zwischen einem Lidschlag und dem nächsten tauchte ich in mich selbst hinab und
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