Zigeunerstern: Roman (German Edition)
Selbstgefälligkeit verführen, und Eingebildetheit grenzt ganz eng an Unbedachtsamkeit. Mein Volk hat es sich nie leisten können, unvorsichtig zu sein … Und darum verkniff ich es mir, ihn für die hübsche kleine Definitionssophistik zu loben, und tat das Ganze mit einem Achselzucken ab. Außerdem war ich ja schließlich beim Fischen und musste mich darum kümmern.
Mein Netz war inzwischen fast in der richtigen Position. Das war ein kritischer Zeitpunkt, und er verlangte meine völlige Konzentration. Es ist nämlich ganz schön knifflig, wenn man ein Vibrationsnetz durch massives Eis auslegen will. Ich ließ die Finger über die Tastatur gleiten, als versuchte ich aus den Saiten meiner Kithara eine Melodie hervorzulocken, und das Netz sank bauschig und wallend tiefer.
Tief unten im Eis fing ein türkisblauer Würzfisch das Lied meines Netzes auf, fuhr herum und stierte die weite schimmernde Öffnung der Reuse an. Na, komm schon, du wunderschöner Mistbrocken, komm, schleich dich ganz brav da rein! Aber der Fisch hatte dazu keine Lust. Er blickte durch das Eis zu mir herauf, und ich sah in seine riesigen grüngoldenen, ernsten, weisheitstiefen Augen, die wie Zwillingssonnen glühten. Das ist aber mal ein schlauer Fisch, dachte ich. Der Fisch da, der hat Romablut in sich. Durch die fünfzig Meter dicke Eisschicht konnte ich ihn hören, wie er mich auslachte. Der Fisch da, dachte ich, der ist mein Vaterbrudersohn.
»Fischst du auch manchmal mit dem Vibrationsnetz?«, fragte ich den Jungen.
»Wir haben auf Fenix keine Winter. Ich habe noch nie zuvor Eis gesehen.«
»Ach, richtig. Das hätte ich bedenken sollen.«
»Aber ich bin ziemlich weit rumgekommen, während ich dich suchte. Ich war auf Marajo, und ich war auf Duud Shabeel, und ich war auf Xamur. Aber auch dort habe ich nirgends Eis gesehen.«
Ich streichelte die Tastatur und lenkte die Öffnung des Netzes seitwärts weg, fort von dem türkisblauen Würzfisch. Mir lag auf einmal nicht mehr sehr daran, ihn zu fangen. Nicht, nachdem er mich dermaßen angeschaut hatte.
Chorian sprach weiter. »Und auf Xamur ist es mir dann endlich gelungen, rauszufinden, wohin du gezogen warst.«
»Gott hat dir eine Nase gegeben. Also ist es nur angemessen, dass du sie dazu benutzt, den Dingen auf den Grund zu schnüffeln. Warum hat Sunteil dich geschickt?«
»Der Herr Sunteil fürchtet, du planst vielleicht deine Rückkehr ins Reich«, sagte der Junge. »Er glaubt, deine Abdankung war nur irgendwie ein geschickter Schachzug, und du wartest deine Zeit ab, bis du deine Vorbereitungen zur Rückkehr getroffen hast. Und wenn du dann heimkehrst, würdest du noch mächtiger sein als je zuvor.«
Das traf mich wie ein Faustschlag in den Unterleib, was er da sagte. Verblüfft erkannte ich, dass Sunteil mich doch tatsächlich durchschaut hatte. Obgleich keiner meiner eigenen Sippe anscheinend bisher mein Spiel durchschaut hatte, war mir Sunteil irgendwie auf die Schliche gekommen.
Und das bedeutete nicht nur, dass Sunteil ein schlauer Kerl war (das wusste ich schon seit langem), sondern dass er sogar noch viel schlauer war, als ich ihm zugestanden hatte. Und daraus konnten sich für uns Unannehmlichkeiten ergeben, wenn der alte Kaiser schließlich sterben und Sunteil, womit die meisten Leute rechneten, seine Nachfolge antreten würde. Denn ich hegte nicht den geringsten Zweifel daran, dass ich mich direkt mit dem Herrn Sunteil würde auseinandersetzen müssen, ich – oder mein unmittelbarer Nachfolger, denn es ging um Belange, die für die Zukunft der Romavölker von höchster Wichtigkeit sein würden, sobald Sunteil Kaiser wurde.
Doch wenn er meine geplante Strategie dermaßen gut ausgelotet hatte, wo ergab sich dann ein Sinn, dass er mir Chorian den ganzen weiten Weg hinterschickte, nur um mir das zu verdeutlichen? Irgendwo war da ein Trick versteckt, eine Falle.
»Das begreife ich nicht«, sagte ich. »Der Herr Sunteil entsendet einen jungen Rom, um herauszufinden, ob der ehemalige König der Roma die Absicht hegt, Schwierigkeiten zu machen? Das ist doch völlig sinnwidrig, oder? Glaubt er allen Ernstes, du würdest mich bespitzeln und aushorchen? Für ihn? Das ist mir zu platt.«
»Der Herr Sunteil ist ein hintergründiger Mann. Und er ist hinterhältig.«
»Das habe ich gehört.«
»Vielleicht erwartet er, dass du mir Dinge sagen wirst, die du einem Gajo niemals sagen würdest. Und möglicherweise hofft er tatsächlich, dass ich ihm diese Dinge dann berichte.«
»Und?
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