Zigeunerstern: Roman (German Edition)
fürchte, ich bin zu alt, um mir schlechte Angewohnheiten noch abzugewöhnen. Im Grunde will ich es wohl auch gar nicht. Doch kurz darauf bekam ich mich wieder in den Griff, richtete meine Aufmerksamkeit wieder den Posten zu und merkte, dass sie über Intercom mit einem Beamten im Innern des Gebäudes sprachen und dass mir dabei ein Audienztermin in etwa zwei bis drei Wochen eingeräumt werden sollte. Nun, ich bin es nicht gewohnt, um Vorlassungstermine zu antichambrieren. Also streckte ich die Hand aus, unterbrach die Verbindung und sagte: »Informiert Shandor, dass Yakoub ihn sprechen will, und zwar jetzt gleich.«
»Aber …«
Ich hatte mich jedoch bereits in Bewegung gesetzt. Sie hätten Gewalt anwenden müssen, um mir den Zutritt zu verwehren. Eine Sekunde lang schienen sie dies sogar wirklich in Erwägung zu ziehen, doch sie wagten es dann doch nicht so recht. Statt dessen traten die zwei, die vorher mit mir gesprochen hatten, an meine Seite und flatterten dicht neben mir her wie aufgeregte Kolibris, und der Rest rannte vor uns drein, um die Nachricht zu verbreiten, dass sich etwas Unerhörtes ereigne. Ich stürmte ziemlich rasch die Stufen hinauf, schoss an den königlichen Standarten vorbei, an den Goldstaubwolken in den magnetischen Druckcontainern, vorbei an den Emblemen sämtlicher von uns Roma entdeckter Welten, vorüber an den übrigen königlichen Insignien und Memorabilien, die mir von meiner fünfzigjährigen Residenz (es kann auch länger gewesen sein) in diesem Haus so wohlvertraut waren, als ich hier ›König Aller Roma‹ gewesen war. Und dann war ich im Haus.
Als Palast ist es wirklich nicht übermäßig grandios. Aber das hatte auch nie jemand beabsichtigt. Das Äußere ist ganz Glanz und Glitzer, aber nur wegen des Goldes. Im Innern ist der Bau höchst bescheiden. Das ist bewusst und beabsichtigt. Es soll dem Gedächtnis an unsere bescheidenen Anfänge dienen, als wir in schäbigen, wackeligen, kleinen, von Pferdchen gezogenen Wägelchen hausten, über die Alte Erde dahinzogen und von Messerschleifen, Wahrsagen und Diebereien leben mussten. Aus diesem Grunde putzten wir unser ›Haus der Macht‹ mit Unmengen von Glitzerkram heraus, der ganz oberflächliches unwichtiges Zeug ist (schließlich, ein ganz kleines bisschen königlich soll die Behausung eines Königs dann doch schon sein, nicht wahr?), aber das Gebäude selbst ist im wesentlichen keine bemerkenswerte Verbesserung gegenüber unseren Zigeunerkarren der Vorzeit. Die eindrucksvollen repräsentativen Prachtbauten überlassen wir unserem königlichen Kollegen, dem Kaiser, weit, weit weg in der Hauptstadt, wie die Gaje ihre eigene übertrieben pompöse und prunkvolle Zentrale im Herzen des Universums zu nennen belieben.
Und sie haben ja derartiges Zeug auch nötig, diese Leute. Es verleiht ihnen das Gefühl der Wichtigkeit, und der Himmel weiß, wie sehr sie das nötig haben! Das Haus der Macht bei uns Roma kann auf Erhabenheit und Herrlichkeit verzichten, denn es ist – allein durch seine Existenz – erhaben und herrlich.
Unser königlicher Thronsaal (um dem Ort einen Namen zu geben, den er keineswegs verdient) ist mit altersdunklen Teppichen ausgestattet, und als Beleuchtung dienen uralte blakende Lampen. So hockte also Shandor beinahe im Finstern und starrte mir düster entgegen, als ich eintrat. Ich glaube, es lungerte auch irgendwo eines seiner Gaje-Kebsweiber herum, aber sie verschwand, als ich eingetreten war. Doch ihr unverkennbarer Körpergeruch hielt sich noch lange in der Luft.
Fast hätte ich ihn nicht wiedererkannt. Sicher hatte er sich vor nicht allzu langer Zeit einem Remake unterzogen, denn er sah kaum älter als dreißig, vierzig Jahre aus. Glatte oliv farbene Haut, schwarze Haare, sogar eine Nasenkorrektur. Doch hinter all den von seiner Eitelkeit bestimmten Veränderungen erkannte ich noch immer Shandors harte glitzernde Augen, die breiten Wangenknochen, die prallen Lippen. Eben die typischen Züge eines Rom. Wie die meinen. Wie die meines Vaters. Durch nichts auszuradieren. Unauslöschbar – die Tyrannei, das unerbittliche Diktat unserer Gene.
»Verdammt noch mal, was willst du denn hier?«, zischte er. Aber dann schüttelte er den Kopf. »Aber du bist ja gar nicht wirklich hier, oder? Du bist ja bloß sein Doppelgänger.«
Er mühte sich um einen Ausdruck von Wut und Grimm, und mehr oder weniger hatte er damit Erfolg. Denn schließlich, Shandor war tatsächlich ein wilder Hitzkopf und auch wirklich
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