Zigeunerstern: Roman (German Edition)
herrschende König sich eines derart gefährlichen, ja tödlichen Rufes erfreute. Ich überlegte mir, was ich an ihrer Stelle wohl getan hätte.
Aber ich war nicht an ihrer Stelle. Ich war ich, und mir schien die Zeit gekommen, die Sache endlich in Gang zu bringen. Also befahl ich nach einer Woche Chorian, im Hotel zu bleiben und mich dort zu erwarten und mir auf gar keinen Fall ins Landesinnere zu folgen (ein Befehl, dem er mit deutlich zur Schau gestelltem Widerwillen zu gehorchen bereit schien). Dann ließ ich eine der Limousinen vorfahren und ließ mich in ihr aus der schönen Stadt Grand Galgala in das Aureus-Hochplateau und zum Königlichen Haus der Macht chauffieren. Und ich ging die letzte Strecke zu Fuß, stieg die Goldstufen hinauf, um Shandor in seiner Höhle gegenüberzutreten und ihm zu erklären, dass er augenblicklich seinen Steiß von meinem Thron zu heben habe.
Natürlich erwartete ich nicht, dass er darauf positiv reagieren werde. Um ehrlich zu sein, ich stellte mir das so vor, dass er mich nach nur ganz kurzem Zögern in eines seiner Verliese schaffen lassen würde. Mit einem Klatschen seiner Hände.
Der brave alte Shandor … Er enttäuscht einen kaum jemals.
7
Und da stand ich also auf der Treppe des Hauses der Macht, und das Licht der Sonne Galgalas prallte von all dem getriebenen, massiven und platierten Gold ab und traf mich mit der Wucht eines gewaltigen visuellen Gongs. Ich war kurz davor, den Arm vor die Augen zu reißen, um sie zu schützen, als ich um die Ecke bog und diese überwirkliche Strahlung auf mich einzuhämmern begann.
Ich unterließ es jedoch. Ich blieb hoch aufgereckt stehen und setzte gegen das ganze Flimmern und Blitzen das Blitzen und Funkeln meiner eigenen Augen. Man kann sich einfach nicht im Haus der Macht eines Königs einfinden und dann seine Sache damit beginnen, dass man die Haupttreppe hinaufkriecht. Schon gar nicht, wenn man beabsichtigt, diesen König mit einem Tritt vom Thron zu stoßen, und zu diesem Zweck war ich ja hierher gekommen. Zumindest bildlich gesprochen.
Vor dem Palast standen bewaffnete Posten in operettenhaften Tuniken aus Goldgewebe. Darüber musste ich lachen. Wachposten! Vor dem Palast, dem Haus der Macht, eines Königs der Roma! Seit wann hatte es der Zigeunerkönig nötig, sich hinter einem Haufen von Leibwächtern zu verkriechen? Weiß der Himmel, solange ich König war, war es nicht so.
Aber ich war ja nicht mehr König. Shandor war der König. Und Shandor machte es eben anders.
Die Wachen starrten mir kalt entgegen. Sie wirkten protzig und arrogant und übelwollend, aber ich sah, wie sie unter der Maske ihrer Arroganz schwitzten, denn sie wussten ja genau, wer ich war, und das machte ihnen Angst. Nein, ich flößte ihnen Entsetzen ein.
»Identifizierung!«, sagte der vorderste Posten, ein Pfannkuchengesicht mit Knopfaugen.
»Du kennst meinen Namen verdammt genau«, wies ich ihn zurecht.
»Niemand kommt ohne Identifikation über diese Treppe.«
»Mein Gesicht genügt als Ausweis.«
Daraufhin wurde er grün im Gesicht. Er sah aus, als würde ihm gleich ziemlich schlecht werden.
Ich schob ihm meine Nase dicht vor die seinige. »Siehst du die Augen? He? Siehst du den Schnurrbart?«
Die Posten tauschten beunruhigte Blicke. Ein zweiter Wächter, groß und dunkelhäutig, mit einem klassischen Zigeunergesicht (er hätte einer meiner eigenen Enkel oder Urenkel sein können), trat vor und sagte: »Herr, es ist Vorschrift …«
»Ich pfeif auf eure Vorschriften! Ich bin gekommen, um Shandor zu sprechen.«
»Es gibt da Formalitäten …«
»Etwa für mich? Ihr solltet auf dem Boden liegen und mir die Stiefel küssen – und ihr wagt es, mir mit Formalitäten zu kommen!«
Der zweite Wachposten seufzte. »Vermerkt es im Protokoll. Seine Majestät, Ex-König Yakoub …«
»… Exzellenz und Benefizienz«, fügte ich hinzu.
»Seine Exzellenz und Benefizienz, Seine Majestät, Ex-König Yakoub … ah … ersucht um Audienz bei König Shandor, ist es so recht?«
»Will mit Shandor sprechen.«
»Protokolliert das! Ersucht um Audienz bei König Shandor im Haus der Macht auf Galgala, am vierzehnten Berylliumtage, 3162 …«
Und so ging es weiter mit ihren pedantischen Formalitäten. Ich achtete kaum noch darauf. Ich war in Gedanken eine Million Parsek weit weg. Ich sprang im Geist von einer Welt zur anderen, erinnerte mich an alte Ruhmestaten, heckte neue Pläne aus. Eine sehr schlechte Angewohnheit von mir. Aber, ich
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