Zigeunerstern: Roman (German Edition)
gefährlich. An seinen Händen klebte das Blut Unschuldiger. Das sollte man nicht vergessen. Die Menschen nannten ihn den ›Schlächter von Djebel Abdullah‹, ehe er sich offiziell von dieser abscheulichen Gräueltat entsühnen ließ. Aber – er war außerdem auch nervös und unruhig. Schon immer waren seine Bewegungen im Körper und im Handeln abrupt und sprunghaft gewesen. In dieser Hinsicht unterschied er sich von mir und von allen meinen anderen Söhnen. Denn wir können zumindest äußerlich den Anschein der Ruhe und Gelassenheit bewahren. Doch bei Shandor ist von allem Anfang an etwas schiefgegangen.
»Kein Doppelgänger«, sagte ich. »Ganz und gar echt bis in die Knochen. Ich hab mir gedacht, ich mach dir mal einen kleinen Besuch.«
»Versuch bloß nicht mit mir rumzuspielen. Dazu kennen wir uns schon zu lang. Mit welchem Recht kommst du eigentlich hier hereingestolpert?«
»Mit welchem Recht? Recht? Ich muss um die Erlaubnis ansuchen, meinen leiblichen Sohn zu sprechen?«
»Den König «, sagte er.
Ich starrte ihm fest in die Augen. »Du kleines Miststück«, sagte ich. »Du Rotzjunge. Wie kannst du es wagen, dich als König auszugeben? Du weißt doch genau, wer der König der Roma ist, Shandor?«
Es sah aus, als würden ihm die Augen aus den Höhlen springen. Wahrscheinlich hatte seit neunzig Jahren niemand so zu ihm gesprochen.
In seinem Gesicht zuckte es. Auch seine Finger veranstalteten zuckende gymnastische Übungen. Die Lippen bewegten sich, aber es kamen nur winzige heisere Krächzlaute über sie. Ich hätte mir gern eingeredet, es sei Furcht, was ihm die Rede verschlug, und vielleicht war dies ja auch ein wenig der Fall. Doch vorwiegend war es hilflose Wut. Es dauerte eine Weile, bis er sich wieder in der Gewalt hatte, und als er dann wieder zu sprechen vermochte, kam nur ein dünnes, abgerissenes, beinahe erbärmliches Quieken:
»Du hast auf den Thron verzichtet!«
»Und? Hast du gedacht, es sei mir ernst damit?«
»Du bist durch fünfzig Welten gerast und hast allen Leuten erklärt, dass du die Schnauze voll hast vom Königsein. Dann hast du dich verdrückt, und kein Mensch hat jahrelang auch nur einen Mucks von dir gehört. Du hast dich auf Gott-weiß-was für einem unbewohnbaren Planeten weit außerhalb des Universums vergraben, hast deine Verantwortung missachtet und in den Wind geblasen, du hast dein geliebtes Volk mit seinen Problemen alleingelassen, du ignoriertest …«
»Shandor!«
»Unterbrich mich nicht!«
»Was? Ja, verdammt noch mal, wer glaubst du denn, wer du bist?« Vor empörtem Zorn wäre ich am liebsten die Wandbehänge hochgegangen. Der wagte es, mir zu sagen, ich solle den Mund halten? Mir? »Du giftige Natter! Du ganz erbärmliches Stück Dreck!«
Shandor wurde leichenblass. »Ich werde mir ein derartiges Gefasel nicht länger anhören. Ich bin dein gesetzmäßiger und gesalbter König …«
» Mein König? Mein König? « Ich begann wie rasend zu toben. Am liebsten hätte ich ihn erwürgt. Er muss es wohl in meinem Blick gesehen haben, und ich glaube, in diesem Augenblick bekam er wirklich Angst vor mir. Und wenn dies der Fall war, dann war es wohl das erste Mal in seinem Leben.
Ich blickte über die vielen Jahre zurück, über eine Zeitspanne, die mir so langgestreckt erschien, als wären es Äonen einer planetarischen Entwicklung – und ich sah ihn an der Brust seiner Mutter liegen. An der Brust meiner so angenehm süßen und bequemen Esmeralda, dem ersten meiner ehelichen Weiber, und sie drückte den kleinwinzigen, rotgesichtigen, brüllenden Shandor an sich, den ersten von meinen Söhnen, und er biss sie in die Brust. Als grübe er wirklich und wahrhaftig seine Reißzähne in ihr Fleisch.
König? Das da? Am liebsten hätte ich ihm den Arsch versohlt.
»Die Abdankung war pro-forma und mit bestimmten Konditionen verknüpft. Sie ist legal nicht erfolgt, also nichtig.«
»Konditionen? Was für Konditionen?«
»Solange ich meinen Thronverzicht aufrechterhalten wollte. Ich habe das Königtum freiwillig aufgegeben – und jetzt nehme ich es aus freiem Entschluss wieder auf mich. Der Thron stand niemals leer. Und diese sogenannte Königswahl, durch die du glaubst, einen Rang einzunehmen können, wie jetzt und hier – diese Wahl war gesetzwidrig.«
»Du hast anscheinend den Verstand verloren …«
»Man sollte dir das Maul mit Kernseife auswaschen«, fuhr ich dazwischen.
Nun müsst ihr bitte bedenken, dass der Shandor, den ich da so abkanzelte, ja
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